Das Zeitzeugengespräch als Quelle und Zugang zur Vergangenheit. Erinnerung, Geschichtsbewusstsein und Geschichtsvermittlung zwischen den Generationen
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Abstract
Während die Bedeutung der 68er als historische Generation und Bewegung in aller Munde ist, haben sich die 20 Jahre älteren ‚45er‘ nicht in Form einer Generation profiliert. Als herausragende Intellektuelle sind sie gut bekannt, aber im Sinne einer Generation stehen sie bislang im Schatten der 68er und sind weitgehend vergessen. Dabei waren sie es, so die These dieses Beitrags, die Anfang der 1960er Jahre, als sie in ihren Berufen gesellschaftliche Verantwortung übernahmen, die Demokratisierung der BRD pragmatisch und konsequent vorangetrieben haben.
Diese Gedächtnislücke in unserem historischen Bewusstsein über die Nachkriegszeit möchte dieser Beitrag füllen – in der Form eines Gesprächs zwischen Aleida Assmann, Angehörige der 68er Generation, auf der einen Seite und Gunter Thiele, 45er, auf der anderen. Der Beitrag versteht sich als Experiment. Er geht von der historischen Standpunktverankerung beider Gesprächspartner aus und prüft dabei die Möglichkeiten und Grenzen des Zeitzeugeninterviews als Medium der Geschichtsdidaktik. Wie gehen wir mit dieser Quelle um? Was sind die Chancen, was sind die Risiken und Nebenwirkungen? Zwischen den Generationen stehen in diesem Fall ja nicht nur Grenzen der Sozialisation und historischen Erfahrung, sondern auch Grenzen des Verstehens. Können persönliche Erinnerungen und Reflexionen unser Wissen von der Geschichte ergänzen und vertiefen? Das Gespräch soll die Chance bieten, die Gegenwart aus einer längeren Perspektive kennenzulernen und die gelebte Erfahrung der NS-Zeit als Vorgeschichte und Hintergrund unserer Demokratie ernst zu nehmen. Ob dieses Experiment über die Zeitschwelle von 1945 hinweg zu einer Horizonterweiterung führen und zur historischen Selbstaufklärung beitragen kann, müssen die Leser und Leserinnen selbst entscheiden.