Agonale Invektivität. Konstellationen und Dynamiken der Herabsetzung im italienischen und deutschen Humanismus
17 Sep 2021
DOI: 10.17885/heiup.862
Texte und Kontext eines kulturellen Zusammenstoßes. Die Invektiven von Bartolomeo Facio und Lorenzo Valla (Neapel, 1445–48)
Der Austausch von Invektiven zwischen Lorenzo Valla und Bartolomeo Facio fand in den Jahren 1445–48 in Neapel statt, wo beide Humanisten am Hof des aragonesischen Königs Alfons des Großmütigen wirkten. Der Konflikt der beiden Protagonisten ist reich dokumentiert und besonders repräsentativ für das gesamte Spektrum der Invektiven zwischen italienischen Humanisten des 15. Jahrhunderts. Diese Dokumentation erlaubt es uns, mindestens zwei Phasen des Zusammenstoßes nachzuvollziehen.1
Die erste Phase des Konflikts betrifft die pragmatische Motivation, die dem Austausch der Invektiven zugrunde liegt. Zum ersten Zusammenstoß zwischen den Humanisten kam es, weil beide versuchten, am neapolitanischen Hof von Alfonso eine kulturelle Vorrangstellung einzunehmen. Konkret drehte sich der Streit um die Frage, wer den Titel des ‚Hofhistorikers‘ tragen sollte. Seit dem 11. Jahrhundert war die Aufgabe des Hofhistorikers eine offizielle Stellung in der Verwaltung der spanischen Monarchien. Die Hofhistoriker genossen großes Ansehen und waren dazu noch hervorragend bezahlt.2
Dieser Streit endete mit dem Sieg des weniger berühmten Facio, dem König Alfons letztlich das Mandat gab, die Geschichte seiner Heldentaten zu verfassen, während Valla aus verschiedenen Gründen beschloss, den Hof von Neapel zu verlassen und in seine Heimatstadt Rom zurückzukehren.3 Bei Facios Sieg spielte die Unterstützung Antonio Beccadellis, genannt Panormita, eine nicht ganz unwichtige Rolle. In der Tat war Panormita nicht nur eine sehr einflussreiche Figur an Alfons’ Hof, sondern lange Zeit auch ein erbitterter Feind Vallas.4
Die zweite Phase des Konflikts dreht sich um die theoretisch-literarische Frage, welche Methode sich am besten dazu eignet, die Geschichte eines Gönners und Mäzens zu schreiben. Im Mittelpunkt steht die Crux, Alfons’ oder Ferdinands (Alfons’ Vater), übergroße Heldentaten zu preisen – bei gleichzeitigem Respekt vor der historischen Wahrheit. Mit ihren historischen Werken sowie den nachfolgenden Invektiven fachten Facio und Valla eine Debatte über dieses Problem an – zunächst am neapolitanischen Hof, dann auch an den übrigen italienischen Höfen.
In diesem Artikel werde ich mich bei dem Inhalt des literarischen Konflikts nicht aufhalten, da dieser Aspekt bereits in zahlreichen wissenschaftlichen Arbeiten behandelt wurde und sehr bekannt ist.5 Außerdem bin ich überzeugt, dass der literarische Aspekt des Streits weniger dazu geeignet ist, die Dynamik des Austauschs der Invektiven zu durchleuchten. Der Zweck dieses Artikels ist zunächst einmal, den Kontext des Konflikts zwischen Facio und Valla greifbar zu machen. Da dieser Kontext eine wichtige Rolle für den Beginn der zweiten Invektive spielt, kann seine genaue Beschreibung dabei helfen, gewisse Aspekte der beiden Texte besser zu verstehen.
Darüber hinaus wird es nützlich sein, nicht nur die Dynamik dieses Zusammenstoßes zu erklären – schließlich hat er zwei Invektiven und zwei historische Werke hervorgebracht – sondern auch die weitere Entwicklung des Konflikts aufzuzeigen. Immerhin veränderte sich die Wesensart von Vallas Invektiven nach seiner Rückkehr nach Rom so stark, dass diese im Zuge nachfolgender Ereignisse sogar ihre literarische Funktion änderten. Tatsächlich fügte Valla seine Invektiven gegen Facio seinem Meisterwerk, den ‚Elegantie‘, sowie seinen ‚Raudensiane Note‘ hinzu (letzteres ein weiteres Werk, das ursprünglich als Invektive gegen Antonio von Rho entstanden war). Damit schuf Valla ein Triptychon von Werken, mit welchem er seine linguistischen Theorien zur lateinischen Sprache verbreitete. In den Augen seiner Leser verloren Invektiven gegen Facio als Teil dieses Triptychons ihre ursprünglich polemische Natur und nahmen die eines echten linguistischen Traktats an.
Am Schluss richte ich den Blick auf die handschriftliche Verbreitung der beiden Texte. Denn obwohl die handschriftliche Überlieferung ein metaliterarisches Element ist, welches außerhalb der Fakten des Zusammenstoßes liegt, gibt sie doch nützliche Hinweise auf die unterschiedliche Art und Weise, in der die beiden Werke von den Lesern des 15. Jahrhunderts wahrgenommen wurden.
Um einen vollständigeren Einblick in die Episode zu erhalten, ist es notwendig, den literarischen Hintergrund kurz zusammenzufassen. Es war Facio, der das erfolgreiche Modell für die Geschichtsschreibung schuf. Ein Modell, das es erlaubte, die Heldentaten ihres Mäzens zu preisen, ohne dabei die Regeln der Glaubwürdigkeit zu verletzen. Dieses neue Modell der Historiographie war perfekt auf die Bedürfnisse der Fürsten und Höfe des fünfzehnten Jahrhunderts zugeschnitten und bestand aus einer gelungenen Mischung dreier literarischer Genres, die sowohl in der klassischen als auch der mittelalterlichen lateinischen Literatur gut bekannt waren: Erstens die klassische Historiographie. Zweitens die Biographie (welche sich seit dem griechischen Schriftsteller Plutarch nur mit den moralischen Qualitäten ihres Protagonisten beschäftigte). Und drittens die spätantike Sammlung der lateinischen Panegyrici Latini, deren Sinn und Zweck das Lob wichtiger Persönlichkeiten wie Fürsten, Herrscher, Könige und Politiker war.6
Um den Kontext besser zu verstehen, ist es wichtig, die literarischen Quellen dieses Dossiers chronologisch darzustellen:
1445: | L. Valla schreibt die ‚Gesta Ferdinandi regis Aragonum‘. 7 |
1445–1446: | B. Facio veröffentlicht die vier Bücher der ‚Invective in L. Vallam‘. 8 |
1448–1452: | L. Valla veröffentlicht die vier Bücher des ‚Antidotum in Facium‘. 9 |
1448–1457: | B. Facio schreibt die zehn Bücher zur Geschichte Alfons’ mit dem Titel ‚Rerum gestarum Alphonsi primi regis‘. 10 |
Die wichtigsten literarischen Dokumente des Zusammenstoßes sind die beiden Invektiven. Während Facios Werk seine Wesensart bereits im Titel preisgibt, wo das Wort ‚Invective‘ auftritt, verspricht Vallas Titel ein Gegengift zu Facio, der Schlange, die Valla angegriffen hat.11
1 Der Beginn des Streits
Zwischen Ende 1445 und Februar 1446 vollendete Lorenzo Valla nach eigenen Angaben innerhalb von zwei Monaten das historische und in drei Bücher unterteilte Werk, welches den Titel ‚Die Heldentaten Ferdinands, des Königs von Aragon‘ trägt (lat. ‚Gesta Ferdinandi regis Aragonum‘). Das Werk handelte vom Leben und den Taten des Königs Ferdinand I. von Trastámara, der auch als Ferdinando d’Antequera bekannt ist. Er war der Vater von Alfons und starb im Jahre 1416. Dieses Werk hatte Alfons bei Valla selbst in Auftrag gegeben und plante auch eine Fortsetzung, die die Geschichte der Taten von Alfons dem Großmütigen enthalten sollte, wie eine Passage am Ende des Proömiums mitteilt:
Sed quoniam de duobus Hispanis regibus locuturus sum, Ferdinando qui primus e Castella regno Aragonie, Alfonso eius filio qui primus ex Aragonia regno Italie potitus est, aliquid de ipsa Hispania altius repetam. [...] Que gessit et antequam rex esset et factus rex: primum in Castella, deinde in bellis contra regem Granate; tum pro assequendo regno Aragonie; postremo inter suos cum hoste et cum ceteris aliis. Inseruntur alia multa, ut lex historie postulat et in primis de puericia atque adolescentia Alfonsi primigenii, que fuerit eius indoles. Ceteri de gestis ipsius Alfonsi multo plures sequentur (Valla ‚Gesta‘, Proem. S. 8,16–28, ed. Besomi).12
Dass die Geschichte der Taten Ferdinands eine offizielle Auftragsarbeit war, bestätigt Valla selbst in seiner Schrift gegen Facio:
Siquidem cum audisset me, acceptis ultimis ab rege litteris, quotidie adire primarios viros qui gerendis rebus Ferdinandi regis non modo interfuissent, sed etiam prefuissent, adire eosdem ausus est: a quibus (ita mihi ipsi rettulerunt) reiectus est, quod dicerent se citra regis iussum res illius domesticas neminem edocturos, nisi me de quo scripsisset (Valla ‚Antid. in Facium‘ 1, 2, 20 S. 13, ed. Regoliosi).
In zwei weiteren Texten bestätigen sowohl König Alfons als auch Valla, dass Valla mit der Aufgabe betraut wurde, die Geschichte Alfons’ zu schreiben. Diese sollte mit der Jugend des Königs beginnen. Alfons erwähnt die offizielle Auftragsarbeit in einem Brief, den er 1438 an einen unbekannten Bischof richtete:
Igitur Egregium virum Laurencium Valla, ex quo etiam speramus, cum sit in ea disciplina [scil. eloquentia] maxime eruditus, res nostras gestas cum quadam quasi immortalitatis veste dignis preconis celebratum iri, ad Maiestatis nostre servitia harum rerum gratia enotaverimus.13
Valla erwähnt den Auftrag 1446 in einem an Biondo Flavio gerichteten Brief:
Mandaverat autem iampridem rex historias suas scribendas, repetitis altius principiis iam inde ab infantia eius (Valla Epist. 24 S. 253 f., ed. Regoliosi).14
In dieser Passage stellt Valla fest, dass er auf Bitten des Königs, die Arbeit zu vollenden, begonnen hat, die mächtigen spanischen Mitglieder des aragonesischen Hofes zu Ferdinands Taten zu befragen. Die höfischen Hispanier bestätigten Valla ihrerseits, dass sie von König Alfons die Erlaubnis haben, auf private Einzelheiten im Leben Ferdinands und Alfons’ einzugehen. Dies ist entscheidend, denn Facio, der ebenfalls versucht hatte, dieselben Männer ohne königliche Erlaubnis zu befragen, hatte kein Wort aus ihnen herausgebracht.15 Ganz deutlich zeigt diese Episode, dass der König Valla im Jahr 1445 die offizielle Aufgabe eines höfischen Geschichtsschreibers übertragen hatte, während Facio diese Aufgabe im selben Jahr noch nicht innehatte – wir werden später noch einmal zu diesem Aspekt zurückkehren.
Nachdem Valla das ebengenannte Werk vollendet hatte, wollte er dem König – zusammen mit dem königlichen Sekretär Giovanni Olzina – offiziell eine Handschrift überreichen, die den letzten ‚Entwurf‘ der ‚Gesta Ferdinandi‘ enthielt. In seinem ‚Antidotum‘ erwähnt Valla, dass der König ihn um diesen ‚Entwurf‘ gebeten hatte, damit er die Geschichte lesen und gegebenenfalls eingreifen konnte, falls er nicht zufrieden sein sollte.16 Es war ein alter Brauch der spanischen Könige, die von ihren Hofhistorikern geschriebenen historischen Werke, die sie betrafen, vorab durchzulesen und zu überprüfen.
Trotzdem wurde das Manuskript der ‚Gesta Ferdinandi‘ dem König nicht direkt ausgehändigt, sondern nur in der königlichen Bibliothek hinterlegt, da der König gerade außerhalb von Neapel weilte, wie Valla in seinem ‚Antidotum‘ deutlich macht:
Rex eos perlibenter cum accepisset recogniturumque se respondisset, porrexit bibliothecario suo qui forte tum aderat iussitque ut ocioso sibi subinde, noctu presertim, exhiberet; nec multis postea diebus Neapoli discessit frequenterque illis mensibus, ut superioribus fecerat, ab urbe abfuit (Valla, ‚Antid. in Facium‘ 1, 3, 5 S. 15, ed. Regoliosi).
Dass Alfons damals nicht in Neapel war, wird durch andere Archivdokumente bestätigt: 17 Bis Mai 1445 war Alfons auf einer militärischen Expedition in Kalabrien. Von Ende Juli bis November desselben Jahres führte ihn eine andere militärische Expedition in die Abruzzen. Nach seiner Rückkehr aus den Abruzzen im November 1445 weilte Alfonso bis Oktober 1446 in Neapel.
Die von Valla gemachte chronologische Angabe wird auch von Facio bestätigt. So schreibt er, dass Valla Alfons das Buch nach dessen Rückkehr aus Kalabrien überreichte:
Primum enim librum ipsum regi statim post reditum eius ex Brutiis una cum secretario eius viro clarissimo obtulisti […] (Facio ‚Inuect‘. 4 S. 122, 28–30, ed. Rao).
Aufgrund dieser Zeugnisse können wir darauf schließen, dass die Hinterlegung des Textes in der königlichen Bibliothek zwischen den beiden Expeditionen, nämlich zwischen Mai und Ende Juli 1445, stattfand. Vallas Manuskript der Gesta verblieb über zehn Monate in der Bibliothek, ohne dass der Autor sie dort abgeholt hätte, wie Facio in seinen Invektiven erklärt.18
Was nun geschah, wurde durch die Abwesenheit des Königs zwischen Juli und Oktober 1445 (also kurz nachdem das Manuskript hinterlegt worden war) begünstigt. Unmittelbar nach Hinterlegung des Manuskripts gelang es nämlich den beiden Feinden Vallas, Facio und Panormita, die ‚Gesta Ferdinandi‘ aus der Bibliothek zu entwenden, indem sie den Bibliothekar bestachen.19 Sie lasen Vallas Werk innerhalb weniger Tage, fanden zahlreiche Sprach-, Grammatik- und Inhaltsfehler, und offenbarten diese dem König während eines ihrer sogenannten kulturellen Treffen, von Alfons die ‚Stunde des Buches‘ genannt. Valla war bei diesem dramatischen Treffen ebenfalls anwesend.20
Chronologisch müssen die Kritik und die Bloßstellung Vallas in der ‚Stunde des Buches‘ in die Zeit nach Alfonsos Rückkehr nach Neapel im November 1445 und vor dem Frühjahr 1446 eingeordnet werden. Wahrscheinlich im späten Frühjahr 1446 stellte Facio mindestens drei der vier Bücher seiner ‚Inuective in Laurentium Vallam‘ fertig und ließ sie in Neapel zirkulieren,21 was durch Vallas Abwesenheit – er befand sich zu diesem Zeitpunkt in Rom – begünstigt wurde.22 Dies also war der Stein des Anstoßes und der Beginn des Streits.
2 Die karrierebedingten Gründe des Streits: Die Position als königlicher Historiograph
Der tatsächliche Grund des Zusammenstoßes zwischen Valla und Facio war die Ernennung zur Position des Hofhistorikers. Leider stellt der chronologische Ablauf dieser Ernennung ein weiteres Problem dar, weshalb wir in diesem Zusammenhang die gesamte diesbezügliche Dokumentation befragen müssen.
Valla wurde wahrscheinlich schon ab 1438 zum ‚Hofhistoriker‘ Alfons’ ernannt.23 Allerdings begann Valla erst ab 1444 damit, Materialien für den ersten Entwurf der ‚Gesta Ferdinandi‘ zu sammeln. Die Scheine des königlichen Schatzamtes bezeugen Zahlungen an Valla als Hofhistoriker für das Jahr 1446. Ein weiterer, auf Katalanisch geschriebener Schein, welcher im Archiv in Valencia gefunden wurde und auf den Januar 1447 datiert ist, bestätigt, dass Valla noch im Januar des Jahres 1447 als Hofhistoriker bezahlt wurde:
Item doní a miçer Lorenço de Valle, orador romà, qui ha càrrech de ordenar les gestes del senyor rey, los quals li eren deguts ab albarà de scrivà de ració scrit en lo camp real de la Silvia de Anania [scil. Anagni] lo derrer dia del propassat mes de deembre per rahó de la terça del salari o provisió de ccc ducats que lom dit senyor li mana donar dels emoluments e drets de la sua cambra. E són per la tanda e paga de Nadal proppassada segons en lo dit albarà se conté que cobre (Valencia, Archivo del Reino de Valencia = València, Arxiu del Regne de València, Mestre racional 8791, Das ordentliche Buch des Schatzmeisters (tresorer) Mateu Pujades, setembre 1446–desembre 1447, gener 1447, urspr. f. 273v, heute f. 180v).24
Des Weiteren habe ich Herrn Lorenzo Valla, dem römischen Botschafter, hundert Dukaten gutgeschrieben,25 da er die Aufgabe hatte, die Taten des Königs schriftlich zu ordnen. Dieses Gehalt stand ihm gemäß des ‚Albarano‘26 zu und wurde im königlichen Lager im Wald von Anagni am letzten Tag des vergangenen Dezember vermerkt. Die Zahlung ist die dritte von drei Raten seines Gehalts von insgesamt dreihundert Dukaten, welche alle vier Monate auszuzahlen waren. Der König verfügt, Valla jedes Jahr dieses Gehalt aus dem königlichen Einkommen zu zahlen.27 Die eben bezahlte Rate entspricht der dritten, zum vergangenen Weihnachten zu zahlenden Rate, wie der ‚Albarano‘ zeigt.
Wie wir aus dem Bericht Vallas über die Unterredungen mit den mächtigen spanischen Mitgliedern des aragonesischen Hofes wissen, war Facio im Gegensatz zu Valla im Jahr 1445 noch nicht zum Hofhistoriker ernannt worden. Allerdings wurde er sicherlich am 31. Oktober 1446 von Alfons dazu ernannt und zwar mit einem öffentlichen Jahresgehalt von 300 Dukaten, also identisch mit Vallas Einkommen:
Item doní a micer Barthomeu de Facio istoriogrofo de casa del senyor rey, los quals li eren deguts per rahó dels CCC ducats que lo dit senyor li mana donar cascun any de provisió dels emolaments e drets de la sua cambra e son per la tanda o paga del mes de agost proppassat dels quals me ha fermat àpoca closa per en Barthomeu Soler, notari, scrivà de mon offici: C ducats (Valencia, Archivo del Reino de Valencia = València, Arxiu del Regne de València, Mestre racional 8791, Das ordentliche Buch des königlichen Schatzmeisters (tresorer) Mateu Pujades, setembre 1446–desembre 1447, gener 1447, urspr. f. 227v, heute f. 145v ).28
Des Weiteren habe ich dem Herrn Bartolomeo von Facio, Historiographen des königlichen Hauses, hundert Dukaten gutgeschrieben.29 Diese standen ihm zu als Teil der dreihundert Dukaten, welche der König ihm jedes Jahr als Gehalt aus dem königlichen Einkommen anweist. Die eben bezahlte Rate entspricht der des letzten Augusts, für welche er mir vor Herrn Barthomeu Soler, seines Zeichens Notar und Angestelltem meiner Schatzkammer,30 eine Quittung in einem dann zu verschließenden Umschlag unterschrieben hat.
Mit dieser Ernennung trug Alfons Facio auf, über die Eroberung des Königreichs Neapel ab dem Jahr 1419 zu schreiben, also von dem Jahr an, als Alfons die Eroberung Korsikas aufgab, und bis zum Jahr 1442, in welchem er einen Triumph in Neapel feierte.31
Im September 1451 hatte Facio bereits die ersten sieben Bücher verfasst, worin er die Taten Alfons’ bis hin zum neapolitanischen Triumphzug am 2. Juni 1442 behandelte. Im Juni 1457 überreichte er dem König öffentlich die endgültige und in zehn Bücher unterteilte Fassung der Geschichte mit dem lateinischen Titel ‚Rerum Gestarum Alphonsi regis libri decem‘.
König Alfons war so überaus zufrieden mit dieser Arbeit, dass er Facio mit einer zusätzlichen Summe von 1500 Dukaten belohnte und sein Gehalt auf 500 Dukaten pro Jahr erhöhte. Alfons’ Zufriedenheit wird auch von Vespasiano da Bisticci bezeugt, der in seinem ‚Leben des Bartolomeo Facio‘ die Worte wiedergibt, die Alfons angeblich zu Facio gesagt haben soll:
Alfonso] chiamò uno suo camerlingo, et sì gli disse, gli portassi millecinquecento fiorini in una borsa. Portatogli, gli fe’ donare a meser Bartolomeo, et di poi se gli volse, e ringratiolo dell’opera aveva fatta, di poi gli disse: „io vi dono mille cinquecento fiorini, non per pagamento de l’opera che avete fatta, perché questa vostra opera non si può pagare per prezzo ignuno, et quando io vi donassi una delle migliori terre che io ho, non vi potrei sadisfare, ma col tempo io farò in modo che voi sarete contento“. Meser Bartolomeo, che si stimava avere dugento o trecento fiorini, vedutine mille cinquecento, rimase ismarito, che non sapeva dov’egli si fussi, sendo di natura aliquanto timido (Vespasiano da Bisticci, Le vite, hrsg. v. Aulo Greco, Firenze 1970, Bd. I, S. 91 f.).
Die Dokumentation der Schatzkammer stellt nun allerdings ein Problem für die Jahre von 1446 bis 1448 dar, also die Zeit, in der Valla den Hof von Neapel verlassen hatte, denn wir besitzen für das Jahr 1446 eine Urkunde, die uns bestätigt, dass beide, also Valla und Facio, als Hofhistoriker ernannt wurden, während die Dokumente von 1447 nur Valla die Summe von 300 Dukaten zuerkennen.32 Aber wir können wohl vermuten, dass König Alfonso auch Facio in der Position des Hofhistorikers mit entsprechendem Gehalt bestätigte.33 Wenn diese Rekonstruktion korrekt ist, sollten wir folglich die Hypothese aufstellen, dass Alfons in diesen Jahren gleich zwei Humanisten mit der Geschichte seiner Heldentaten beauftragte.
Letztlich vermögen die zahlreichen, aus den literarischen Texten oder Archiven stammenden Dokumente der Zeit nicht, uns eine Antwort auf dieses Problem zu geben. In Ermangelung urkundlicher Beweise würde ich mit großer Vorsicht die Hypothese aufstellen, dass Alfons über den bitteren und unwürdigen Zusammenstoß seiner beiden Top-Humanisten am Hof verärgert war, da der Streit Facio gegen Valla den ganzen Hof in Mitleidenschaft gezogen hatte, und das auch noch während der sogenannten ‚Stunde des Buches‘, eines Augenblicks der Muße und Entspannung. Offensichtlich glaubte Alfons, dass er die Situation beruhigen und die Zwistigkeiten beenden würde, wenn er zwei Hofhistoriker anstellte. Auf diese Weise hoffte er die Kontrahenten, nämlich Valla, Facio und dessen Verteidiger Panormita zufrieden zu stellen. Schließlich war Alfons es – wie alle guten Politiker – gewohnt, Kompromisse zu schließen. Auf diese Weise gedachte er, seinen und ihren Seelenfrieden wiederherzustellen. In die ‚Stunde des Buches‘ sollte wieder Ruhe einkehren und das literarische Werk über seine Taten konnte von beiden geschrieben werden.
In der Tat handelte Alfons nach einem typischen politischen Kalkül, das unter Politikern wie ihm selbst gut funktionierte. Allerdings hatte er den bizarren Charakter seiner Intellektuellen unterschätzt, welche sich mit solchen diplomatischen Lösungen nicht arrangieren mochten. Und so blieb es Alfons, der mit großem Geschick Kriege gewonnen hatte und die Geschichte der süditalienischen und spanischen Völker in seiner Hand hielt, versagt, den Machtkampf zwischen den beiden Streithähnen an seinem Hof zu verhindern.
Wie oben gesehen, ließ Facio seine Invektiven wahrscheinlich in den Monaten Mai / Juni 1446 zirkulieren, weil er nach Vallas Position strebte.34 Sie dienten dem Zweck, Valla in den Augen des Königs zu diskreditieren. Diese Erklärung gibt auch Valla, in einer Passage seines ‚Antidotum‘:
Delenito ac persuaso bibliothecario, a quo rem erat edoctus Panormita utpote compater, opus meum complures per dies domi sue tenuerunt annotationesque in illud cum conquisissent, tanquam aliunde exemplar habuissent, me apud regem secreto malignissime vituperant, promittentes multo preclarius illam materiam a Bartholomeo scribi posse (Valla ‚Antid. in Facium‘ 1, 3, 6 S. 15, ed. Regoliosi).35
Valla berichtet hier, dass sich auch der Humanist Antonio Beccadelli Panormita, Alfons’ mächtiger Berater, vor dem König zu Facios Gunsten ausgesprochen hatte, um den König davon zu überzeugen, Facio mit der Geschichte seiner Regierung zu beauftragen. Da dieser von Valla beschriebene Dialog beweist, dass Facio zu diesem Zeitpunkt noch kein ‚Hofhistoriker‘ war, müsste der Dialog zwischen 1445 und Oktober 1446 stattgefunden haben.
3 Die Überlieferung der Invektiven von Valla und Facio
Wenn wir nun von dem Kontext der zwei Invektiven zu den konkreten Texten übergehen und die Struktur der beiden Invektiven analysieren, stellen wir fest, dass die Invektiven von Facio alle Eigenschaften der Gattung aufweisen (nämlich Titel, Sprache, Nutzung des Du-Stils, Anlass und schnelle Verfassung, Zweck), während das Gegengift Vallas sich schwerer in das Genre der Invektive einordnet. Einerseits hat Vallas gegen Facio und Panormita gerichtete Sprache durchaus manche Aspekte einer typischen humanistischen Invektive. So zum Beispiel den Sarkasmus, die Beleidigung der beiden Gegner, die Vorwürfe der Ignoranz, den Du-Stil, die häufigen Apostrophe der Gegner usw. Andere Aspekte dagegen entsprechen den Eigenschaften der Gattung und ihrer Dynamik eher weniger. In diesem Punkt spielt der Titel, das ‚Gegengift‘ (Antidotum), allerdings keine Rolle, da Valla für seinen Angriff auf Poggio dasselbe Wort benutzt. Und dieser Angriff fällt fraglos in die Gattung der Invektive.
Die erste Schwierigkeit in Bezug auf die Gattung stellt die Datierung des Werkes dar. Wie M. Regoliosi, die Herausgeberin des ‚Antidotum‘, erklärt hat, verfasste Valla den ersten Entwurf des ‚Antidotum‘ im Jahr 1447, überwiegend während des Aufenthalts des Königs und seines Hofes in Tivoli, wo sie bis August blieben. Im November kehrte Valla nach Neapel zurück. Ein paar Monate später, im Jahr 1448, kehrte er Neapel den Rücken und zog für immer nach Rom zurück.36
In der ewigen Stadt legte Valla weder die letzte Hand an das ‚Antidotum‘, noch veröffentlichte er den Entwurf. Das Werk begann erst um 1452 zu zirkulieren, da einige venezianische Humanisten zu dieser Zeit das ‚Antidotum‘ erwähnen.37 Außerdem besaß der von 1447 bis 1454 in Rom lebende englische Adelige William Grey bereits vor dem Jahr 1454 eine persönliche Kopie des Werks.38
Kurzum, Vallas Ausarbeitung des ‚Antidotum‘ fehlt es nicht an der Schnelligkeit oder Spontanität der Antwort, denn das Werk wurde ja schon im Jahr 1447 fertiggestellt, also nur ein Jahr nach Facios ‚Invective‘. Allerdings scheint es, als ob Valla das Interesse an der schnellen Verbreitung des Werkes verloren hätte, als er nach Rom umzog. Regoliosi glaubt, dass Valla in Rom den Zusammenstoß mit Facio als Kontroverse am neapolitanischen Hof betrachtete, die er – zurück in Rom – einfach hinter sich lassen wollte. In Rom empfand Valla das ‚Antidotum‘ in den fünfziger Jahren des fünfzehnten Jahrhunderts nicht mehr als Antwort auf einen Gerichtsstreit, sondern betrachtete den Text als unabhängigen Traktat über die lateinische Sprache, und brachte ihn als solchen in Umlauf.
Diese neue Einstellung von Valla wird im an Giovanni Tortelli adressierten Widmungsbrief der ‚Elegantie‘ deutlich, den Valla in der römischen Periode schrieb. Er setzt die vier Bücher des ‚Antidotum‘ mit den anderen zwei linguistischen Werken zusammen, um die folgende Trilogie über die lateinische Sprache zu bilden:
- Die sechs Bücher der ‚Elegantie‘;
- Die vier Bücher des ‚Antidotum in Facium‘;
- Die zwei Bücher der ‚Raudensiane Note‘.
In dem Widmungsbrief vergleicht Valla die Gesamtheit der drei Werke mit einer zwölf Fuß hohen Säule, die eine Statue von Papst Niccolò V. stützen musste – Zwölf entspricht der Summe der Bücher in den drei Werken:
Etenim, si in arcubus triumphalibus et columnis caeterisque id genus operibus in honorem aliquorum extructis, quo sint augustiora, cernimus interdum alicuius dei aut deo similis imaginem superpositam, cur ipse non putem mihi faciundum, ut huic meae columnae (non ausim dicere arcui) duodecim passus altae, quam ego opifex tibi ob singularem eruditionem, summam beneuolentiam, maxima in te merita dicaui, imaginem Nicolai summi pontificis mea manu scalptam in culmine collocem, ut operis decori quaedam etiam ex ipso praeside maiestas accedat? (Valla, Eleg. 1, ‚Epist. ad Ioannem Tortellium‘).39
Obwohl das ‚Antidotum‘ seine ursprüngliche polemische Funktion verloren und stattdessen eine neue angenommen hatte, überarbeitete Valla den Text nicht mehr, um den Charakteristiken eines linguistischen Traktats gerecht zu werden. Deshalb enthielt das Werk weiterhin die an seine Gegner adressierten Apostrophen, die Struktur des Dialogs (den Valla mit seinem polemischen Gesprächspartner in Abwesenheit hält) und die Verwendung des Du-Stils, kurz, einige Aspekte der Invektiven.
Dennoch, trotz der äußeren Form, die uns an die ursprünglich polemische Wesensart des ‚Antidotum‘ erinnert, wurde der neue Zweck des ‚Antidotum‘ von den Lesern der Zeit klar erfasst, wie die sieben fast zeitgleichen Handschriften beweisen, da sie oft das ‚Antidotum‘ zusammen mit den anderen Werken der sprachlichen Trilogie enthalten.40
Diese Überlegung erlaubt es, einen letzten Aspekt dieser Episode zu behandeln, der Forschern bislang wenig aufgefallen ist, nämlich die Beziehung zwischen der handschriftlichen Überlieferung und der ursprünglichen Wesensart der humanistischen Invektive. In der Tat ist die handschriftliche Überlieferung von Facios Invektiven von der des ‚Antidotum‘ ganz verschieden, und zeigt, dass die Leser Facios Invektiven als ‚Werk zu einem bestimmten Anlass‘ betrachteten.
Facios Invektiven sind in sechs Manuskripten erhalten, von denen vier verschiedene Werke verschiedener Autoren überliefern:
- Roma, Bibl. Angel. 1374, ff. 194 (Inuect. ff. 21–34). Sammelhandschrift: Briefe von G. Trapezunzios, Papst Nicolaus V., Poggio, fragm. von Facios Inuect., Cic. De amic., De senect., Terent. Eunuch., Heauton.
- Berlin, Staatsbibl., Preuß. Kulturbesitz, lat. Oct. 176, ff. 1–32 (die Hs. enthält nur Facios Invektiven).
- Cambridge, Univ. Libr. Ms. Add. 6188, ff. 139 (Inuect. ff. 1–46). Sammelhandschrift: Dichtung von Porcelio Pandoni, Tomm. Morroni, Inuect. in Poggium, N. Perotti, Inuect. in Poggium, human. Briefe.
- Oxford, Balliol College 131, ff. 177 (Inuect. ff. 128–177). Sammelhandschrift von W. Grey: G. Castellani, latein. Übersetzung von Platos Tim., Rinuccio da Castiglione, Übersetzungen von Platos Dialogen, Das Leben von Aesop, Werke von Pythagoras, Hippocrates.
- Città del Vaticano, BAV, Vat. Lat. 6850, ff. 123 (Inuect. ff. 74–85). Sammelhandschrift: Kommentar zu Persius, Briefe von L. Bruni, Pomp. Leto, Panormita.
- . Città del Vaticano, BAV, Vat. Lat. 7179, ff. 404 (Inuect. ff. 336–356). Sammelhandschrift: In dieser Hs. befinden sich 104 Werke.
Die Überlieferung in Sammelhandschriften ist typisch für das Genre der Invektiven, nicht nur im Falle Facios, sondern auch anderer Autoren. Mit Ausnahme einiger von berühmten Autoren geschriebenen Invektiven (z. B. die Werke von Poggio oder das ‚In calumniatorem Platonis‘ betitelte Werk von Kardinal Bessarion) haben die anderen humanistischen Invektiven generell eine ‚schwache‘ Überlieferung, was Anzahl der Zeugen und ihre Autorität angeht. Daher sind die meisten in Sammelhandschriften erhalten.
Abschließend können wir sagen, dass die chronologische Analyse dieser wichtigen Kontroverse des italienischen Humanismus es erlaubt, ihren kulturellen und geschichtlichen Kontext, ihre Dynamik und ihre Entwicklung aufzuzeigen. Facios Invektiven behielten ihren ursprünglichen Zweck, ihn als Hofhistoriker zu promovieren und Valla zu diskreditieren. Daher sind sie nur in Sammelhandschriften erhalten.41 Stattdessen erfuhr Vallas ‚Antidotum‘ durch seinen Umzug nach Rom eine Transformation, wenngleich der Autor die polemische Struktur des Textes nicht überarbeitete. Aus der Streitschrift wurde ein sprachlicher Traktat, der zusammen mit den berühmten ‚Elegantie‘ überliefert wurde und heute noch einen der prinzipiellen Texte darstellt, an denen Vallas linguistische Konzepte abzulesen sind.
Während Facios zehn Bücher von den Heldentaten des Alfons (‚Rerum gestarum Alphonsi primi regis‘) einen sofortigen und enormen Erfolg hatten, was die achtzehn Handschriften belegen, die sofort nach ihrer Veröffentlichung produziert wurden,42 verschwanden Facios Invektiven aus dem literarischen Panorama des Humanismus, nachdem sie ihre ursprüngliche Funktion als ‚literarische Kampfwaffe‘ verloren hatten.
Texte und Kontext eines kulturellen Zusammenstoßes. Die Invektiven von Bartolomeo Facio und Lorenzo Valla (Neapel, 1445–48)
1 Der Beginn des Streits
2 Die karrierebedingten Gründe des Streits: Die Position als königlicher Historiograph
3 Die Überlieferung der Invektiven von Valla und Facio