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»Es ist nur ein Dorf«. Schwetzingen mit den Augen Leopold Mozarts.
11 Aug 2020
Wenn der Himmel zürnt. Wetterphänomene in der Zeit von Leopold Mozart mit einem besonderen Blick auf Gewitter, Blitzschlag und Brandbekämpfung
Über Wetter und Klima
Unter Wetter versteht man den kurzfristigen Zustand der unteren Atmosphäre (Troposphäre) zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort. Das Wetter wird durch meteorologische Elemente wie zum Beispiel Temperatur, Luftdruck, Strahlung, Luftfeuchte, Wind, Wolken und Niederschlag charakterisiert. Diese Elemente stehen in direkter Beziehung zueinander und sind voneinander abhängig. Wetter kann sich, im Gegensatz zu Witterung und Wetterlage, welche eine bestimmte Region und auch mehrtägige Zeiträume betreffen, mehrmals am Tag ändern.
Im Gegensatz zur kurzzeitigen Betrachtungsebene des Wetters beinhaltet Klima einen deutlich längeren, mindestens 30 Jahre umfassenden Zeitraum.1 Klima beschreibt den statistischen Durchschnitt aller an einem Ort auftretenden Wetterzustände, einschließlich der tages- und jahreszeitlichen Schwankungen. Daraus ergibt sich, dass Aussagen über grundsätzliche Veränderungen im Klimageschehen eine vieljährige Wetterdokumentation als Grundlage benötigen. Das tägliche Wettergeschehen ist geprägt durch Wetterphänomene.
Unter dem Begriff Wetterphänomene werden die Erscheinungen des Wetters zusammengefasst. Diese sind zum Beispiel Sonnenschein, Nebel, Regen, Reif, Hagel, Schnee, Wind / Sturm, Bewölkung, Hoch- und Tiefdruckgebiete und natürlich auch Gewitter.2 Treten diese Erscheinungen den Tages- / Nacht- und Jahreszeiten entsprechend der örtlichen Norm auf, nimmt der Mensch diese als gewohnte natürliche Gegebenheiten wahr. Weichen Wettererscheinungen signifikant vom Durchschnitt ab und treten in extremer Form auf, dann spricht man im Allgemeinen von Unwetter. Früher wie heute waren und sind extreme Wettererscheinungen Ereignisse, welche die Menschen gleichermaßen erschrecken und faszinieren. Besonders Gewitter mit Blitz und Donner sowie den Begleiterscheinungen wie Starkregen, Sturmböen und auch Hagel sowie deren entsprechende Umweltauswirkungen gehören dazu.
Von Blitz und Donner
Gewitter lassen sich entsprechend ihrer Entstehung in Luftmassen- und Frontgewitter untergliedern.3 In Europa entstehen Frontgewitter, wenn bei Westwetterlage eine auf den Kontinent zuströmende Kaltfront auf eine Warmfront trifft. Zumeist treten solche Gewitter an der Küste auf, seltener im Binnenland. Frontgewitter können das ganze Jahr über auftreten.
Bei den Luftmassengewittern unterscheidet man Wärme- und Wintergewitter. Beide entstehen in einer einheitlichen Luftmasse durch vertikale Temperaturunterschiede. Der auslösende Faktor für Wärmegewitter ist eine starke Sonneneinstrahlung ab dem Morgen. Sie treten daher fast nur in den Nachmittags- und Abendstunden der Sommermonate auf.
Wintergewitter entstehen, wie der Name schon sagt, im Winterhalbjahr. Dort gibt es sie aber seltener als Wärmegewitter im Sommer. Der zur Entstehung einer Gewitterzelle notwendige vertikale Temperaturgradient entsteht nicht durch Sonneneinstrahlung, sondern in Folge starker Abkühlung von Luftmassen in der Höhe. Zumeist ist der Zustrom von Höhenkaltluft polaren Ursprungs der Grund. Wintergewitter treten vermehrt zum Mittag und am frühen Nachmittag auf.
Sowohl entscheidendes visuelles Merkmal als auch besonderes Gefahrenpotential von Gewittern sind Blitze. Diese Entladungen entstehen durch elektrostatische Aufladung in den Wolken. In Gewitterwolken, welche bis in große Höhen reichen können, herrschen Minusgrade. Der in den Wolken enthaltene Niederschlag liegt in Form von Eiskristallen und stark unterkühlten Wassertröpfchen vor. Eine Wechselwirkung zwischen dem Niederschlag in der Wolke und dem elektrischen Feld der Wolke selbst erzeugt hohe Spannungen mit Feldstärken von bis zu 3500 V / m (Abb. 1).
Aufgrund der unterschiedlichen Fallgeschwindigkeiten von Eiskristallen und Wassertröpfchen sind die positiven und negativen Ladungen in der Wolke getrennt. Die Wolke wirkt wie ein Generator, worin es beim Vorherrschen von entsprechenden Feldstärken zu Entladungen in Form von Blitzen kommt. Nach der Entladung können sich erneut Feldstärken aufbauen und so neue Blitze auslösen. Je nach Polarität der elektronischen Aufladung können Blitze nicht nur von der Wolke in Richtung Erde ausgehen, sondern auch umgekehrt. Blitze aus den Wolken können Längen von über zehn Kilometern erreichen. Blitze zwischen den Wolken sind fünf bis sieben Kilometer lang, jene von der Erde zu den Wolken ein bis zwei Kilometer.
Das akustische Merkmal von Gewittern, der Donner, entsteht, wenn sich die Luft im Blitzkanal schlagartig auf 30.000 Grad erhitzt, und aufgrund des hohen Druckes zum Ende des Blitzes explosionsartig mit einer Stoßwelle und einem Knall ausdehnt. Das typische Donnergrollen kommt unter anderem durch Echoeffekte zustande.
»ein erstaunliches Donnerwetter«
Die Unwettererwähnung im Brief von Leopold Mozart vom 19. Juli 1763 aus Schwetzingen bezieht sich auf ein starkes Gewitter, welches er auf seiner Reise mit seiner Frau und seinen Kindern (Maria Anna, elf Jahre und Wolfgang Amadeus, sieben Jahre) in der Nacht vom 13. auf den 14. Juli 1763 in der Oberrheinebene bei Bruchsal erlebte. Hierzu schreibt Mozart in einem post scriptum Folgendes:
zwischen dem 13ten und 14 hatten wir in bruchsal ein solches erstaunliches donnerwetter, daß ich mich dergleichen keines in meinem Leben erinnere. Meine Kinder hörten es zum glück nicht obwohl es nach mitternacht anfieng, und morgens um 3 uhr am allerheftigsten war; sie schlieffen so gut. das wetterleuchten war ohnausgesetzt, dann schlag auf schlag und dieß die ganze Nacht durch: das, was mir am meisten im Kopf lage, waren die Häuser, wo man nichts als Holz sieht, und man bey feuersgefahr, nur geschwinde zum fenster hinausspringen muß. ehe wir nach Constatt kamen fuhren wir bey einem in flammen annoch stehenden hause vorbey, so vom Donner entzindet ward. sonst hat uns auf dem weeg, gott Lob, niemals ein donnerwetter erwischt.4
Bei dem beschriebenen Wetterphänomen handelt es sich um ein für Sommermonate typisches, jedoch wohl sehr starkes Wärmegewitter. Als zerstörerische Spur des Unwetters wird die typische Folge eines Blitzeinschlages, ein noch brennendes Haus, erwähnt.
Interessant ist, dass es keine Erwähnung von typischen Wetterbegleiterscheinungen von Gewittern wie Starkregen, Sturm oder Hagel gibt. Es ist daher davon auszugehen, dass er ein Trockengewitter erlebte. Diese haben auch heute noch ein erhöhtes Potential bezüglich möglicher Schäden durch Blitzeinschlag, da Brandherde nicht schnell durch Regen gelöscht werden können.
Hinsichtlich Leopold Mozarts persönlicher Empfindungen und Gefahreneinschätzung eines solchen Gewitters sind die kurzen Notizen eindeutig und typisch für die tiefsitzenden Ängste der Menschen in der damaligen Zeit. Man fühlte sich vor allem in Holzhäusern den zerstörerischen Himmelskräften schutzlos ausgeliefert und machtlos. Vor Regen und Sturm war man hier zwar geschützt, bei Blitzeinschlag und Feuer gab es aber nur die schnelle Flucht, zum Beispiel durch einen Sprung aus dem Fenster. Aber auch bei aus Stein gebauten Häusern waren die Dachstühle aus Holz gebaut, und wenn es sich um größere beziehungsweise höhere Bauten handelte, so waren diese natürlich gerade deshalb einem möglichen Blitzeinschlag stärker exponiert.
Die elektrische Natur in Wolken und der Schutz vor Blitzen
Auch wenn Otto von Guericke (1602–1686) aufgrund seiner Versuche zu elektrostatischen Entladungen bereits 1670 die elektrische Natur von Blitzen postulierte, konnte der experimentelle Nachweis für elektrische Energie in Gewitterwolken erst 1752 erbracht werden. Sowohl für den französischen Botaniker und Physiker Thomas-François Dalibard (1709–1799) als auch für den Universalgelehrten und Gründervater der USA Benjamin Franklin (1706–1790) sind entsprechende Versuchsaufbauten und Experimente dokumentiert.
Das änderte aber nichts daran, dass viele Menschen Blitz und Donner, gerade auch wegen ihres himmlischen Ursprungs, weiterhin als ein göttliches Strafgericht ansahen. Die wissenschaftliche Erklärung setzte sich aber zum Ende des 18. Jahrhundert mehr und mehr durch. Einhergehend mit dem neuen, naturwissenschaftlichen Prozessverständnis begannen sich verschiedene Personen alsbald auch mit den Möglichkeiten von Gewitterschutz durch spezielle Konstruktionen beziehungsweise »Blitzableiter« zu beschäftigen. Bereits 1753 publizierte Benjamin Franklin ein erstes Verfahren zum Gebäudeschutz vor Blitzschlag.
Der erste Blitzableiter in Deutschland wurde durch den Arzt Johann Albert Heinrich Reimarus (1729–1814) auf dem Turm der Hamburger Hauptkirche St. Jacobi 1769 installiert. Reimarus setzte sich sehr für die Verbreitung des Blitzableiters in Norddeutschland ein. Für den süddeutschen Raum hingegen ist Johann Jakob Hemmer (1733–1790) als Vorreiter anzusehen. Er war Geistlicher, Sprachforscher, Physiker und Meteorologe, stand ab 1760 als Hofkaplan in kurpfälzischen Diensten und verstand sich als Aufklärer. 1767 wurde er Mitglied der Kurpfälzischen Akademie der Wissenschaften und 1776 Direktor des Kurpfälzischen Physikalischen Kabinettes (Abb. 2).5
Hemmers Anlass, sich verstärkt dem Studium der atmosphärischen Elektrizität und einer geeigneten Form des Blitzschutzes zu widmen, war ein Blitzeinschlag, dem 1769 der kurfürstliche Marstall in Schwetzingen zum Opfer fiel. Hemmer entwickelte einen Blitzableiter oder »Wetterleiter«, wie die Zeitgenossen sich ausdrückten, der aus Eisen und Kupferblech gefertigt wurde. Er bestand aus einer etwa drei Meter hohen, senkrechten Mittelstange mit zwei aufgesteckten Querarmen im oberen Drittel, welche ein fast zweieinhalb Meter breites, waagerechtes Stangenkreuz bildeten. Die vier Spitzen der Querarme und die Spitze der senkrechten Hauptstange führten zur Namensgebung. Als »Hemmer’scher Fünfspitz« wurde dieser Blitzableiter bekannt. Hemmers Dienstherr Kurfürst Carl Theodor (1724–1799) ließ sich früh von Hemmers Erfindung überzeugen und erließ am 27. Februar 1776 als erster deutscher Fürst einen Erlass, dass alle Schlösser und Pulvertürme in seinen Ländern mit »Wetterleitern« ausgerüstet werden sollten (Abb. 3).6
Der erste Standort für einen Hemmer’schen Blitzableiter war das Schloss des Freiherrn von Hacke in Trippstadt in der Pfalz. Die Montage erfolgte am 15. April 1776. Im Juli des gleichen Jahres erhielt auch das Schloss in Schwetzingen die heute noch zu sehenden »Fünfspitze«. Verschiedene Gebäude in Düsseldorf, darunter das Schloss, der Pulverturm und die Gemälde­galerie, erhielten 1782 einen Blitzableiter. 1783 war auch das Schloss in Mannheim an der Reihe. Hemmer propagierte den Nutzen seines »Wetterleiters« nicht nur in der Praxis, sondern auch in Vorträgen und verschiedenen Veröffentlichungen. Schon die Installation wurde zum Ereignis. Als Hemmer etwa den Blitzableiter auf dem Schwetzinger Schloss anbrachte, tat er das nicht nur in Gegenwart vieler Zuschauer, sondern auch im Beisein des Landesherrn selbst. Carl Theodor nahm die Wetterleiter in Betracht und drückte sein Wohlgefallen über deren Anbringung aus. Die Anwesenheit des Kurfürsten war dabei auch ein Mittel, das herrschaftliche Vertrauen in die neue Technik zu demonstrieren und die Zweifler daran verstummen zu lassen.7
Die neuen Schutzvorrichtungen waren der Bevölkerung nicht überall willkommen. Der Versuch sich gegen die göttliche Macht zu schützen, als deren Ausdruck man Gewitter und auch zerstörerische Blitzeinschläge noch bis ins 18., teils 19. Jahrhundert begriff, wurde von manchen als unerlaubte Einmischung oder gar als Herausforderung Gottes angesehen. Dabei war die breite Bevölkerung oftmals noch kritischer eingestellt als der Klerus. Die Sorge, man könne durch den Blitzableiter Gott ein Mittel seines Strafgerichts aus der Hand nehmen, entstammt einem eher volkstümlichen Religionsverständnis. Viele gelehrte Theologen und Geistliche, wie auch Hemmer einer war, sahen hingegen gerade diesen Glauben, dass man die Allmacht Gottes durch Blitzableiter oder andere menschliche Mittel einschränken könne, als frevelhaft an. Die Diskussion um den Blitzableiter verband sich also häufig mit der Frage nach dem Gottesbild. Aufklärer wie Johann Jakob Hemmer sahen sich daher in doppelter Weise berufen, die Bevölkerung zu belehren: sie einerseits nämlich über die naturwissenschaftlichen Zusammenhänge aufzuklären, andererseits aber gegen die volkstümlichen, als Aberglauben angesehenen Erklärungen und Schutzhandlungen vorzugehen. Gerade der »Wetterleiter« wurde so im 18. Jahrhundert ein Symbol des Fortschrittes und der Verbreitung der Aufklärung. In ihm sahen die Aufklärer ihre eigenen Ansprüche mustergültig verwirklicht. Nicht nur waren sie durch Experimente und genaue Beobachtungen zu neuen rationalen Erkenntnissen über die Natur gelangt, sondern diese Erkenntnisse ließen sich zum Wohle des Menschen auch ganz praktisch umsetzen.8
Über die religiösen Widerstände ist allerdings nicht zu vernachlässigen, dass auch bei den Wissenschaftlern noch Unsicherheit über das Wesen der Elektrizität bestand. Ein Blick in die verschiedenen Schriften, mit denen über Elektrizität und Gewitter aufgeklärt wurde und der Nutzen von Blitzableitern propagiert wurde, zeigt, dass die Frage des göttlichen Strafgerichtes immer wieder aufkam und behandelt werden musste. Deutlich mehr Seiten wurden aber mit Antworten auf Einwände gegen Blitzableiter gefüllt, die aus dem naturwissenschaftlichen Bereich kamen.9 Auch die Herren Akademiker waren sich nicht ganz einig über den Nutzen und die Funktionsweise der »Wetterleiter«.
Benjamin Franklin sah etwa die Hauptwirkung der »Wetterleiter« darin, dass die in den Wolken vermutete »elektrische Materie« durch die in den Himmel ragenden Metallstäbe harmlos und lautlos in den Boden abfließen würde. So würden sie verhindern, dass es überhaupt zu Blitzen käme. Zwar verkannte er nicht, dass seine »Wetterleiter« auch die Gebäude, auf denen sie angebracht waren, gegen direkte Blitzeinschläge schützten, sah das aber als nachgeordnete Funktion.10 Im Laufe des 18. Jahrhunderts rückte diese Funktion – die nach modernem Wissen einzige Wirkungsweise – in den Mittelpunkt der Diskussion, das Wirken als stiller Ableiter der Elektrizität wurde jedoch keineswegs komplett abgetan. Es gab scharfe Auseinandersetzungen darüber, was die geeignetste Bauweise und Anbringung für den Blitzableiter sei. Die Möglichkeit, durch die falsche Form des »Wetterleiters« großen Schaden zu verursachen, wurde nicht ausgeschlossen. In England etwa wurden in den 1760er und 1770er Jahren heftige Diskussionen darüber geführt, ob die von Franklin vorgeschlagenen spitzen Stangen, die weit über das Gebäude ragen sollten, nicht allzu anziehend auf die Elektrizität wirkten und Blitzeinschläge geradezu einladen würden. Mit stumpfen Enden oder gar mit Kugeln versehene Wetterleiter, die nicht höher sein sollten als die Gebäude, auf denen sie standen, würden nach der Theorie des englischen Malers und Naturwissenschaftlers Benjamin Wilson (1721–1788) ebenso gut als stille Ableiter funktionieren, jedoch weniger direkte Einschläge auslösen.11
Ausgehend von dieser Annahme, dass Blitzableiter die Elektrizität aus der Luft still und beständig ableiten würden, wirken gewisse Sorgen der Bevölkerung nicht ganz so weit hergeholt. Ein häufiger Einwand gegen die Installation von Blitzableitern war etwa, dass diese die Elektrizität und die Gewitter des ganzen Umlandes anziehen würden und sie sich über dem Gebäude ballen würden. Zwar sei das mit Blitzableiter ausgerüstete Gebäude geschützt, aber alle umstehenden Gebäude seien dann umso gefährdeter, vom Blitz getroffen zu werden.12
Befürworter wie Gegner überschätzten die Wirkung der Blitzableiter regelmäßig. Als Antwort auf die Sorge, dass Blitzableiter dem Erdreich zu viel Elektrizität zuführen würden und so Erdbeben auslösen könnten, versteigerte sich Hemmer gar in die Aussage, dass genau das Gegenteil der Fall wäre. In einem Beitrag für die »Augsburgische Ordinari Postzeitung« 1783, in der er auch anderen Einwänden widerspricht, stimmt er zwar zu, dass Erdbeben durch in der Erde angestaute Elektrizität, die sich gewaltsam einen Weg bräche, entstehen könnten. Da die »Wetterleiter« aber in beide Richtungen wirken würden, würden sie dem zuvorkommen, indem sie auch der irdischen Elektrizität einen widerstandslosen Weg in die Luft böten, wodurch ein elektrisches Gleichgewicht gesichert wäre. Mit »Wetterleitern« ausgerüstete Städte könnten so also niemals direkt von einem Erdbeben getroffen werden.13 Von einem modernen Verständnis der Elektrizität war man noch weit entfernt (Abb. 4).
In der weiteren Entwicklung der Konstruktion von Blitzableitern im 19. Jahrhundert wird der »Hemmer’sche Fünfspitz« als Bautyp nicht weiter fortgeführt. Auch, weil ein besonderer Nutzen des waagrechten Stangenkreuzes nicht nachgewiesen werden konnte. Er hatte allerdings einen unvermuteten Nutzen, der heute schlicht nicht mehr notwendig ist. Er musste nämlich als Beweis seiner eigenen Wirksamkeit herhalten. So etwa 1780, als ein Blitz in ein Gebäude in Mannheim schlug, das Hemmer zuvor mit einem Blitzableiter ausgestattet hatte. Er schrieb dazu später:
Als ich die getroffene kupferne Spize abschrauben und herunterbringen ließ: fand ich sie oben angeschmolzen, und 2 Zolle weit schneckenförmig gewunden. Jedermann kann sie in dem dasigen kurf. Kabinette der Naturlehre, wo ich sie aufbewahre, in Augenschein nehmen.14
Ähnliche Berichte gibt es von anderen Orten. Hemmers »Fünfspitz« scheint gerade so konstruiert, dass er seinen Nutzen auch im Nachhinein belegen konnte. Die Verformung des Metalls zeigte die zerstörerische Kraft des Blitzes, das unversehrte Haus zeigte gleichzeitig, dass diese erfolgreich abgewendet werden konnte. Die Spitze des Blitzableiters im physikalischen Kabinett kann also gewissermaßen als Trophäe angesehen werden, die von dem Sieg über die Naturgewalt zeugte.15
Und wenn der Blitz doch einschlägt?
Auch wenn ein Blitzableiter montiert war, ergab sich daraus keineswegs ein absoluter Schutz gegen Schäden durch Blitzeinschlag oder damit verbundene Brände. In solchen Fällen, wie auch dort, wo es keine Blitzableiter gab, konnte bei Feuer nur eine schnelle und effektive Brandbekämpfung größeres Unheil verhindern.
Stand ein Gebäude in Flammen, war die Gefahr groß, dass sich der Brand auf den Straßenzug, das Stadtviertel oder sogar die ganze Stadt ausdehnte. Es gibt kaum eine frühneuzeitliche Stadt, die nicht mindestens einmal großflächig in Brand stand. Die meisten brannten sogar mehrfach nieder. Gerade der Einsatz brennbarer Baumaterialien förderte dies. Mindestens der Dachstuhl der Häuser bestand aus Holz, häufig auch waren die Dächer strohgedeckt. Zudem machte es die dichte Bebauung der Städte den Bränden einfach, von einem Gebäude auf das nächste überzugreifen. Wichtigstes Werkzeug zur Brandbekämpfung waren lange Zeit Löscheimer aus Leintuch oder Leder, Haken und einfache Leitern aus Holz (Abb. 5). Die enorme Gefahr rechtfertigte auch brachiale Herangehensweisen. So war es gängig, noch nicht brennende Häuser in der Nachbarschaft der Brände gezielt einzureißen, um durch Schneisen in der Bebauung die weitere Ausbreitung des Feuers zu verhindern.16
Als Neuerung in der Brandbekämpfung fanden im 18. Jahrhundert Feuerspritzen langsam aber stetig mehr Verbreitung. Die physikalischen Grundprinzipien dieser Geräte waren zwar seit der Antike bekannt, deren Umsetzung scheiterte aber am Material: Gerade die Abdichtung war eine Herausforderung. Schon ab dem 16. Jahrhundert gibt es Berichte von sogenannten Feuerschleifen. Große, mit Wasser befüllte Holzgefäße, die auf Kufen zur Brandstelle gezogen wurden. Durch eine Druckpumpe wurde ein Wasserstrahl erzeugt, der mithilfe eines an der Feuerschleife angebrachten sogenannten Wenderohrs auf das Feuer gerichtet werden konnte. Sie waren allerdings unhandlich, unzuverlässig und mussten mit Eimern nachgefüllt werden. An zahlreichen Orten gab es Tüftler und Erfinder, die diese Gerätschaften bauten und verbesserten, ohne dass sie sich endgültig durchsetzen konnten. Eine wichtige Erfindung auf dem Weg zur Feuerspritze war die des aus Leinen gefertigten Ansaugschlauchs. Der Amsterdamer Kupferstecher und Erfinder Jan van der Heyden (1637–1712) entwickelte ihn an der Wende zum 18. Jahrhundert. Dieser Schlauch vereinfachte nicht nur das Herbeiholen von Löschwasser, sondern machte das Gefährt auch insgesamt leichter. Darüber hinaus erfand van der Heyden auch einen ledernen Druckschlauch. Er ermöglichte es, das Löschwasser gezielter einzusetzen und den Brandherd entsprechend effektiver zu bekämpfen, anstatt es nur durch ein Wenderohr grob in die Richtung des Feuers schleudern zu können (Abb. 6).17
In Schwetzingen kam die erste Feuerspritze 1747 an. Sie wurde vor allem zum Schutz der kurfürstlichen Sommerresidenz aus Mannheim dorthin verlegt, wurde allerdings schon 1754 ausgemustert. Mit der Konstruktion eines neuen Spritzenwagens wurde Carl Theodors Hofmechanicus Johann David Beyser betraut. Doch ein Spritzenwagen reichte bald nicht mehr. Bis zur Wende zum 18. Jahrhundert wurde Beyser noch mit dem Bau zweier weiterer Spritzenwagen für die Schwetzinger Schlossanlage beauftragt. Die abgedruckte Konstruktionszeichnung war wahrscheinlich einem von Beysers Angeboten als Anlage beigefügt. Für das Jahr 1772 ist die Anschaffung einer besonders großen Spritze zum Preis von 1200 Gulden belegt. 24 Mann waren erforderlich um allein ihre Pumphebel im Einsatz gleichmäßig zu betätigen. Diese Spritze tat bis 1892 ihren Dienst und wurde dann wegen ihrer Schwerfälligkeit ausgemustert. Kurpfälzer Ortschaften ohne Residenzfunktion wurden dazu im Vergleich erst 1780 angewiesen, sich Feuerspritzen anzuschaffen. Auch hier lieferte Hofmechanicus Beyser den Entwurf. Sie waren zum Preis von jeweils 400 Gulden wohl eher einfach.18
Unabhängig von der technischen Ausrüstung bedrohte auch ein zunächst kleiner Brand, einmal ausgebrochen, schnell die gesamte Stadt. Daher war es auch Aufgabe der gesamten Stadtbevölkerung, Brände zu bekämpfen. Echte Berufsfeuerwehren kamen erst im Laufe des 19. Jahrhunderts auf. Stattdessen legten Feuerordnungen, die von Städten und Landesherren erlassen wurden, fest, welche Zünfte oder Berufsgruppen im Brandfall welche Aufgaben zu übernehmen hatten. Schwetzingen erhielt seine erste Löschordnung 1742. Gängige Bestimmung von Feuerordnungen war es etwa, dass jeder Bürger einen Löscheimer vorrätig halten musste oder bei der Aufnahme in den Bürgerstand der Stadt überlassen musste. Daneben enthielten sie bautechnische Vorgaben, etwa einen Mindestabstand von Gebäuden, und zahlreiche Regeln für den Gebrauch und die Wartung von Herden und Feuerstellen.19 Das wichtigste Mittel des Brandschutzes war und bleibt die Prävention.
Quellen
Hemmer, Johann J.: kurzer begriff und nuzen der Wetterleiter, bei gelegenheit derjenigen, di auf dem schlosse, und den übrigen kurfürstlichen gebäuden zu Düsseldorf errichtet worden sind, Düsseldorf 1782.
[Hemmer, Johann J.:] »Mannheimer Wetterwarte, den 12. Juli«, in: Augsburgische Ordinari Postzeitung (17. Juli 1783).
Mozart. Briefe und Aufzeichnungen. Gesamtausgabe, hg. von der Internationalen Stiftung Mozarteum Salzburg, gesammelt u. erläutert von Wilhelm A. Bauer u. Otto Erich Deutsch, 1. Bd., Kassel u. a. 1962.
Literatur
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Bauer, Gerhard: Johann Jakob Hemmer (1733–1790). Geistlicher, Sprachforscher, erfolgreicher Physiker, Meteorologe und Vollender des Blitzableiters. Zum 275. Geburtstag des Gelehrten, hg. von der Academia Domitor, Aachen 2008.
Bauer, Gerhard u. a. (Hg.): »Di Fernunft Siget.« Der kurpfälzische Universalgelehrte Johann Jakob Hemmer (1733–1790) und sein Werk (= Jahrbuch für Internationale Germanistik. Reihe A. Kongressberichte 103), Bern u. a. 2010.
Budde, Kai: »›Blitzfänger‹ und ›Luftballen‹: Die physikalischen Forschungen Johann Jakob Hemmers am Mannheimer Hof«, in: Mannheimer Hefte (1991), S. 60–70.
Budde, Kai: Wirtschaft, Wissenschaft und Technik im Zeitalter der Aufklärung. Mannheim und die Kurpfalz unter Carl Theodor 1743–1799, Ubstadt-Weiher 1993.
Grießbach, Rainer: Naturgewalten – das Gewitter, Berlin 32015.
Dross, Fritz: »Gottes elektrischer Wille? Zum Düsseldorfer ›Blitzableiter-Aufruhr‹ 1782 / 83«, in: Landes- und Reichsgeschichte. Festschrift für Hansgeorg Molitor zum 65. Geburtstag (= Studien zur Regionalgeschichte 18), hg. von Jörg Engelbrecht und Stephan Laux, Bielefeld 2004, S. 281–302.
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Hochadel, Oliver / Heering, Peter: »Introduction. Revisiting an Invisible Technology«, in: Playing with Fire. Histories of the Lightning Rod, hg. von Peter Heering, Oliver Hochadel und David J. Rees, Philadelphia 2009, S. 1–22.
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Moore, C. B. / Aulich, G. D. / Rison, William: »A Modern Assessment of Benjamin Franklin’s Lightning Rods«, in: Playing with Fire. Histories of the Lightning Rod, hg. von Peter Heering, Oliver Hochadel und David J. Rees, Philadelphia 2009, S. 256–268.
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Schönwiese, Christian-Dietrich: Klimatologie (= UTB 1793), Stuttgart 42013.
Wucke, Bernd: Gebrochen ist des Feuers Macht. Ein Abriß zur Geschichte der Feuerwehr, Erlensee 1995.
Wenn der Himmel zürnt. Wetterphänomene in der Zeit von Leopold Mozart mit einem besonderen Blick auf Gewitter, Blitzschlag und Brandbekämpfung
Benedikt Bego-GhinaWilfried Rosendahl (Mannheim)
Über Wetter und Klima
Von Blitz und Donner
»ein erstaunliches Donnerwetter«
Die elektrische Natur in Wolken und der Schutz vor Blitzen
Und wenn der Blitz doch einschlägt?
Quellen
Literatur