»Es ist nur ein Dorf«. Schwetzingen mit den Augen Leopold Mozarts.
11 Aug 2020
DOI: 10.17885/heiup.566
Dokumente des Schwetzingen-Aufenthalts im Sommer 1763
Die Übertragungen folgen dem Text der Ausgabe Mozart. Briefe und Aufzeichnungen. Gesamtausgabe, hg. von der Internationalen Stiftung Mozarteum Salzburg, gesammelt u. erläutert von Wilhelm A. Bauer u. Otto Erich Deutsch, 1. Bd., Kassel u. a. 1962.
Schwezingen Mr: Danner et Frau + Mr: Wendling, Flutotra: et Frater Violinista. des ersten Frau die Sängerin. Mr: Sarselli, Tenor, et Tochter die sehr gut singt. Mr: Toeschi und bruder et Frau eine Französin. Mr: Ritschel, Vice Capell + Excellenz Krieger. Violinista Fränzl. Mr: Ritter fagott. Mr: Erau. Baron Eberstein. clarinetist qualberg. Ingenieur Lieut: Pfister und sein Brud: der obrist. Cannabich und seine Frau. | im Roth Hauß. Das schloss und Capellen. Der garten. Comoedienhaus. Stern=Alléen. |
Schwetzingen den 19 Julii 1763
Monsieur.
Da ich in Ludwigsburg schrieb; so getrauete ich mir nicht beyzusetzen, daß das Soldaten=wesen alda bis zur Ausschweifung getrieben wird. denn, in der that, 12 bis 15000 Soldaten, die täglich ganz unglaublich nett gebuzt einhergehen, ja wegen der von der feinesten Leinwand gemacht haargleichen Stifletten und Hosen kaum gehen können, sind zum Ernste zu wenige und zum Spaß zu kostbar, folglich zu viel. den 12ten haben wir endlich um 8 uhr morgens die uns schon um 4 uhr frühe versprochne Postpferd bekommen und sind über Entzweining |: einem ganz lutherischen miserablen ort :| abends in Bruchsal angelangt. wir haben auf dieser tag=reise angenehme gegenden und viel vergnügen wegen eines guten freundes, der von Augsp: aus uns ungesehen nachkam, gehabt. die Residenz in Bruchsal ist sehenswürdig. die Zimmer sind vom allerbesten Geschmackt; nicht viele Zimmer, aber so edl, unbeschreiblich reitzend und kostbar, daß man nichts angenehmeres sehen kann. von da sind wir nicht nach Manheim, sondern schnurgerad nach Schwezingen gegangen, wo der Hof im Sommer ist. ausser der Recommendation die ich von Wienn an den Music=Intendant Baron Eberstein in handen hatte, waren wir schon durch den Prinzen v Zweybrücken alda angesagt, und der Prinz Clemens von Bayern schickte uns noch ein eigenhändig Reccomendationsschreiben an die Churfürstin von Manheim zu den 3 Mohren nach augspurg nach. Gestern ward eigens Accademie wegen uns anbefohlen. Dieß ist erst die zweyte Accademie die seit dem May hier ist gehalten worden. Sie dauerte von 5 uhr abends bis nachts 9 uhr. Ich hatte das Vergnügen nebst guten Sänger und Sängerinnen einen bewunderungswürdigen Flutotraversisten Mr: Wendling
zu hören, und das Orchester ist ohne widerspruch das beste in Teutschland, und lauter junge Leute, und durch aus Leute von guter Lebensart, weder Säufer, weder Spieler, weder liederliche Lumpen; so, daß so wohl ihre Conduite als ihre production hochzuschätzen ist. Meine Kinder haben ganz Schwetzingen in Bewegung gesetzet: und die Churf: Herrschaften hatten ein unbeschreiblich vergnügen, und alles geriet in verwunderung. So bald wir weg kommen, gehen wir nach Frankfurt. Wenn sie mir demnach schreiben, so schreiben sie mir nach Franckfurt. abzugeben bey H: Johann georg Wahler auf dem Römerberg. – – Nun fe ich, daß Sie werthester freund sowohl als dero liebste Frau Gemahlin und samtl: angehörigen im besten Wohlseyn sich befinden werden: gleichwie wir alle, Gott Lob und Dank, noch keine viertelstund krank waren. Wir sagen viellmahl: Nun soll uns die frau Hagenauerin sehen. in gewissen Umständen nämlich, wo wir ganz besondere Landesübliche Sachen mitmachen müssen, die von den unsern sehr unterschieden sind, und wie viele merkwürdige ja ganz sonderbare sachen sehen wir, die wir ihr auch zu sehen wünschen. wir sind nun wirklich immer in orten, wo 4 Religionen sind. nämlich Catholisch, Lutherisch, Calvinisch, und Juden. Schwetzingen ist ausser der Menge der Hofleute meist Calvinisch; Es ist nur ein Dorf, hat 3 Kirchen, eine Catholische, lutherische, und Calvinische: und so ist es durch die ganze Pfalz. Merkwürdig ist,
daß wir von Wasserburg aus bis itzt kein Weichbrunnkrügl nimmer in unserm zimmer hatten. denn wenn die Örter gleich Catholisch sind, so bleiben derley sachen doch schon weg, weil viele Lutherische fremde auch durchreisen. und folglich sind die zimmer schon so eingericht, daß alle Religionen darinn wohnen könnten. Man sieht auch in den schlafgemächern selten etwas anders als ein paar Landschaften oder das Portrait eines alten Kaysers etc: gar selten ein Crucifix. Die fastenspeisen bekommt man sehr hart. sie machen solche auch sehr schlecht denn alles frist fleisch; und wer weis was sie uns gegeben haben. Basta! wir haben keine schuld! unser gastgeb hier [ist] ein Calvinist. gut, daß es nicht lange dauert: Nun muß ich schlüssen, es ist Zeit in die Französ: Comoedie, die sonderheit: wegen der Ballets und Music unverbesserlich ist. ich hoffe in Franckfurt etwas von ihnen zu lesen. Leben sie alle wohl und gesund, an alles links, rechts, hinten und vorn meine Empf: specialiter an H:gd:H: Beichtvatter, Madame de Robini etc: ich bin der alte
Mozart.
In dem band der von der Madame Haffnerin v Nurnberg übermachten Musikal: sind 6 Stück: oeuvres melées. öffnen sie es, und geben sie eines davon dem H: Adlgasser nebst meinem Compliment.
Meine Frau und Kinder empf: sich insbesonders dero ganzem Hause, Madame v Wohlhaupt et Madmslle v Schnürer etc:
P:S: bey grissling, göpping und um selbe gegend sahen wir alles getreid vom schauer in boden geschlagen. zwischen dem 13ten und 14 hatten wir in bruchsal ein solches erstaunliches donnerwetter, daß ich mich dergleichen keines in meinem Leben erinnere. Meine Kinder hörten es zum glück nicht obwohl es nach mitternacht anfieng, und morgens um 3 uhr am allerheftigsten war; sie schlieffen so gut. das wetterleuchten war ohnausgesetzt, dann schlag auf schlag und dieß die ganze Nacht durch: das, was mir am meisten im Kopf lage, waren die Häuser, wo man nichts als Holz sieht, und man bey feuersgefahr, nur geschwinde zum fenster hinausspringen muß. ehe wir nach Constatt kamen fuhren wir bey einem in flammen annoch stehenden hause vorbey, so vom Donner entzindet ward. sonst hat uns auf dem weeg, gott Lob, niemals ein donnerwetter erwischt. Übrigens muß ich noch unserem Salzburger=Land zum trost sagen, daß auch in allen diesen gegenden, so bald es geregnet hatte, auch eine ungewöhnliche kälte zu spieren ware. Mit dem Geld ist es ganz zum erstaunen übl. schon in bruchsall nimmt man die bayr: thaler nicht anders als für 2 f 24 X. die 25.ger für 24 X etc etc: der duggaten gilt nur 5 f, die bayr: 12er will man kaum für 10 Xr haben. da doch in augsp: der duccaten für 5 f 20 bis 24 Xr kann ausgebracht werden. H: Provino hat sich sonderlich distinguirt und hat mir an verschiedene Örter die schönsten Credit briefe ohngebetten mitgegeben. so daß ich so wohl von H: Calligari als von ihm mit allem, was nötig ist, versehen bin.