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Die Alte Aula der Universität Heidelberg
Die Universität am Vorabend ihrer 500-Jahr-Feier
Frank Engehausen
Die heutige Universität ist ihrer großen Geschichte würdig geblieben, in Forschung und Lehre; jugendfrisch steht sie, in lebendigem Wechselverkehr mit den Schwesteranstalten, in der ernsten Geistesarbeit unserer Tage. Bleibende Werke in den Geisteswissenschaften, große Entdeckungen auf dem Gebiete der sich mächtig entwickelnden Naturwissenschaften, glänzende Beredsamkeit ausgezeichneter Lehrer haben in den letzten Dezennien Heidelbergs Ruhm aufrecht erhalten, treu gemehrt (Abb. 1). So skizzierte Großherzog Friedrich I. von Baden in seiner Eigenschaft als Rektor der Universität Heidelberg die jüngste Geschichte der Ruperto Carola in seiner Rede bei dem Festakt in der Aula bei der 500-Jahr-Feier 1886 in eher allgemein gehaltenen Worten. Auch sonst nutzte kaum einer der Redner bei dieser und bei den anderen Festveranstaltungen im Rahmen des Jubiläums den Anlass zu einer detaillierten Gegenwartsanalyse. Dass die Universität bei der 500-Jahr-Feier, ganz im Gegensatz zu den Jubiläen der jüngeren Zeit, die eigene aktuelle Leistungsfähigkeit nicht allzu sehr in den Vordergrund rückte, dürfte den besonderen Gepflogenheiten der Festkultur des 19. Jahrhunderts geschuldet gewesen sein. Vielleicht spielte bei dieser Zurückhaltung aber auch der Umstand eine Rolle, dass sich die Universität gerade in diesen Jahren in einer prägnanten Umbruchsituation befand, in der Urteile über das eigene Profil schwer fielen.
In der Panegyrik der Festredner und des begleitenden Jubiläumsschrifttums erschien die Entwicklung der Universität Heidelberg seit dem Beginn des 19. Jahrhunderts als eine bruchlose Erfolgsgeschichte, der durch politische Einwirkungen der Boden bereitet worden sei: zunächst durch die Inbesitznahme der rechtsrheinischen Kurpfalz durch das badische Herrscherhaus, das die Universität neugegründet und seitdem besonders gepflegt habe, und dann durch die Reichsgründung von 1871, die der blühenden Universität eine feste nationale Grundlage geschaffen habe. Mochte dies auch im Großen und Ganzen zutreffen, blieb doch in solcher Verallgemeinerung ausgeblendet, dass es durchaus ernste Krisen gab, verursacht etwa durch politische Einwirkungen in der Vormärzzeit und in der Revolution von 1848/49, und auch strukturelle Risikofaktoren, wie etwa die zu Beginn des Jahrhunderts schwelende Frage, ob der badische Staat auf Dauer zwei Landesuniversitäten unterhalten würde, oder seit der Reichsgründung die Herausforderung, sich in einer veränderten Konkurrenzkonstellation gegenüber den übrigen deutschen Universitäten zu positionieren. Diese Herausforderung erschien umso größer, als sich an allen Universitäten seit den 1870er Jahren grundlegende Veränderungen anbahnten durch eine rasch zunehmende Spezialisierung vor allem der naturwissenschaftlichen Fächer und einen markanten Anstieg der Studentenzahlen. Wie sich die Entwicklung der Ruperto Carola auf dem Weg von einer traditionellen Universität zu einem „Großbetrieb der Wissenschaft“ gestaltete, kann an dieser Stelle nicht im Detail geschildert werden; es sollen aber doch zumindest einige wichtige Aspekte der Heidelberger Universitätsgeschichte zwischen der Jahrhundertmitte und der 500-Jahr-Feier kurz zur Sprache kommen (Abb. 2).
Das Zentralphänomen dieser Epoche war die Differenzierung der akademischen Fächer, die sowohl die Geistes- als auch die Naturwissenschaften erfasste und die klassische Struktur der vier Fakultäten (Theologie, Jurisprudenz, Medizin und Philosophie) aufbrach. Zwar war diese Differenzierung ihrem Ursprung nach wissenschaftsimmanent, sie hatte aber doch sogleich erhebliche Folgen auch für das organisatorische Gefüge und das räumliche Erscheinungsbild der Universität. Besonders betroffen waren hiervon die Medizinische und die Philosophische Fakultät, deren Aufteilung sich seit dem Ende der 1870er Jahre abzeichnete und vier Jahre nach dem Universitätsjubiläum vollzogen wurde. Der Grund hierfür war vor allem eine Vermehrung der Fächer, die in der Jahrhundertmitte mit der Trennung der klassischen von der neueren Philologie, die sich wiederum nach und nach in mehrere Spezialdisziplinen aufspalten sollte, begonnen hatte und sich in den 1870er Jahren fortsetzte mit der Etablierung neuer naturwissenschaftlicher Fächer. Neben der Vergrößerung der Philosophischen Fakultät, die gegenüber den drei anderen Fakultäten ohnehin schon ein Übergewicht hatte, schien auch deren fachliche Inkohärenz, die durch die Diversifikation der Naturwissenschaften noch wuchs, für eine Aufteilung zu sprechen. Die 1890 neu eingerichtete Naturwissenschaftlich-mathematische Fakultät umfasste dann die Lehrstühle für Mathematik, Physik, Botanik, Mineralogie, Zoologie, Chemie und Landwirtschaftslehre – letzterer war in einer politischen Entscheidung durch die Verlegung der landwirtschaftlichen Fachschule von der Technischen Hochschule Karlsruhe nach Heidelberg gelangt. Bei der verkleinerten Philosophischen Fakultät verblieben zehn Lehrstühle: Philosophie, Archäologie, germanisch-romanische Philologie, vergleichende Sprachwissenschaften, orientalische Philologie, Nationalökonomie sowie jeweils zwei für klassische Philologie und Geschichte.
Während die alte Philosophische Fakultät die fachliche Differenzierung dadurch gefördert hatte, dass sie sich in der Regel für eine rasche Etatisierung der neuen Fächer als Ordinariate aussprach, waren die Verhältnisse in der Medizinischen Fakultät komplizierter, da die Diversifikation die Einflusssphären der bestehenden Ordinariate, zumal wenn diese mit Klinikleitungen verbunden waren, in weitaus stärkerem Maße bedrohte, als dies bei den Fächern der Philosophischen Fakultät der Fall war. So wehrte sich die Medizinische Fakultät mehrfach gegen eine Spezialisierung und verhinderte zum Beispiel die Übernahme der Privatklinik des Ophthalmologen Hermann Knapp als Universitätsinstitut – Knapp siedelte schließlich nach New York über, baute eine Augenklinik auf und erhielt dort eine Professur. In der Regel wurden neue Fächer in der Medizinischen Fakultät als Extraordinariate eingerichtet, was vielfach auch dem Wunsch der badischen Regierung entsprach, bei Neueinrichtungen die Kosten möglichst zu begrenzen. Andererseits ließ sich die Regierung aber auch von gesundheitspolitischen Überlegungen leiten, die eine durchgreifende Modernisierung der Medizin in Heidelberg angezeigt sein ließen. Um dies zu erreichen, nahm sie mitunter auch Konflikte mit der auf Besitzstandswahrung ausgerichteten Fakultät in Kauf, zum Beispiel 1870 mit der Ernennung des außerordentlichen Professors und Leiters einer Heidelberger Poliklinik Theodor von Dusch zum Ordinarius. Nichtsdestotrotz wuchs die Medizinische Fakultät nur langsam. Bis 1892 kamen lediglich vier Ordinariate hinzu: für Pathologische Anatomie, Psychiatrie, Hygiene und Gerichtsmedizin.
Die bei den Medizinern offenkundige Verschiebung des Verhältnisses von Ordinarien und Nichtordinarien machte sich auch in der Entwicklung des Gesamtlehrkörpers der Universität bemerkbar. Hatte es 1860 ungefähr 1 zu 1,5 betragen, so wuchs es in den folgenden 50 Jahren auf 1 zu 2,5 an, das heißt: die außerordentlichen Professoren, Honorarprofessoren und Privatdozenten gewannen in Forschung und Lehre beträchtlich an Bedeutung, ohne dass dies Einfluss auf die akademische Selbstverwaltung gehabt hätte: Die Fakultäten und die Senate blieben den Ordinarien vorbehalten. Erst am Vorabend des Ersten Weltkriegs wurden die Fakultäten für die Nichtordinarien ein Stück weit geöffnet. Anders als beim Übergang zur Massenuniversität in den 1960er Jahren hielt die Personalentwicklung in der Expansionsphase seit 1870 mit den wachsenden Studentenzahlen Schritt. Erstmals waren 1883 mehr als 1.000 Studenten in Heidelberg immatrikuliert. Die Ruperto Carola zählte damit zu den mittelgroßen deutschen Universitäten; im badischen Vergleich war sie in der Mitte der 1880er Jahre allerdings schon von Freiburg überholt worden.
Der markante Wandel der Universität wurde im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts neben der Differenzierung der Fächer und der mit ihr einhergehenden Ausweitung des Lehrkörpers auch in der Anwendung neuer Lehrmethoden sichtbar: In den Naturwissenschaften und in der Medizin gewannen der experimentelle und klinische Unterricht gegenüber den klassischen Vorlesungen rasch an Bedeutung, und auch in den Geisteswissenschaften veränderte sich die Lehrpraxis durch Seminare und Übungen. Dies und auch die nach einer Reform der Lehrerausbildung an einzelne Fächer in besonderem Maße herangetragene Aufgabe, Wissenschaft und Praxis miteinander zu verknüpfen, gab einen Anstoß für die Einrichtung neuer Institute und Seminare, die mit der Bereitstellung von Übungsräumen und Bibliotheken den Anforderungen der neuen Lehrmethoden genügten. Hierdurch verstärkte sich die räumliche Ausdehnung der Universität, die eine unausweichliche Folge der Vermehrung von Fächern, Lehrpersonal und Studenten war, noch weiter.
Bedrängt blieb trotz der räumlichen Expansionsbemühungen die Lage der Geisteswissenschaften in dem alten Universitätsviertel, da der Bau eines neuen Zentralgebäudes aus finanziellen Gründen nicht zustande kam – auch der Anlass des Universitätsjubiläums hatte hier keine Abhilfe schaffen können, die sich erst 1901 ergab, als die Universität auf dem Areal der heutigen Neuen Universität das Museumsgebäude als „Neues Kollegienhaus“ umbauen konnte. konnte (s. Beitrag Hawicks Abb. 11). Auch für die naturwissenschaftlichen Fächer, die sich in der vorderen Hauptstraße konzentrierten, mussten mit Mühen neue Räumlichkeiten geschaffen werden, da der Friedrichsbau, der Anfang der 1860er Jahre für deren Zwecke errichtet worden war, bereits 20 Jahre später keine ausreichenden Ressourcen mehr bot (Abb. 3). Eine großflächige Lösung ergab sich allerdings für die Medizin mit der Verlegung der Kliniken nach Bergheim. Dies würdigte der Heidelberger Oberbürgermeister Karl Wilckens 1886 in einem Beitrag über die bauliche Entwicklung der Stadt in der Jubiläumschronik von 1886 als eine besondere Errungenschaft: Im Bergheimer Baubezirk bilden die großartigen, nach allen Anforderungen moderner Wissenschaft und Technik eingerichteten akademischen Krankenhäuser eine kleine Stadt für sich. Die Gebäude, welche die medicinische und chirurgische Klinik beherbergen, wurden bereits 1876 eröffnet. Im Jahr 1878 wurden die Augenklinik und die Irrenklinik bezogen, während die Frauenklinik … 1884 dem Betrieb übergeben wurde (Abb. 4). Dass die beträchtlichen Investitionsmittel hierfür vom badischen Staat zur Verfügung gestellt wurden, war keine Selbstverständlichkeit, zeugte aber von der fortdauernden hohen Wertschätzung, die die beiden Landesuniversitäten in Karlsruhe genossen: Im reichsweiten Vergleich waren die Ausgaben für die Hochschulen nämlich nirgendwo so hoch wie in Baden, so dass die Universität Heidelberg bei ihrer 500-Jahr-Feier allen Anlass hatte, dem Landesvater Friedrich I. zu danken.
Lassen sich die äußeren Veränderungen der Universität mit der Diversifikation der Fächer und ihren Begleiterscheinungen sowie der räumlichen Expansion recht leicht beschreiben, so sind andere Phänomene des Umbruchs schwieriger zu erfassen. Für die Exzellenz der akademischen Lehrer und Forscher, die der Großherzog in seiner Festrede 1886 konstatiert hatte, ließen sich zahlreiche Beispiele vorführen, wenngleich auch darauf hinzuweisen ist, dass Heidelberg gerade in den 1870er Jahren den Wegzug mehrerer bedeutender Gelehrter hinnehmen musste. Zu ihnen zählten der Physiker Gustav Robert Kirchhoff, der Philosoph Eduard Zeller, der Jurist Bernhard Windscheid oder der Historiker Heinrich von Treitschke, der als zeitgeschichtlicher Publizist besondere Popularität genoss (Abb. 5). Etliche der Heidelberg verlassenden Professoren folgten Rufen an die Universität Berlin, die die preußische Regierung mit hohem finanziellen Aufwand zur Vorzeigeuniversität des neuen Reiches ausbauen wollte, bei manchen Abwanderungen spielte aber wohl auch eine nachhaltige Zerrüttung der Verhältnisse innerhalb der Heidelberger Professorenschaft, die sich seit etwa 1870 bemerkbar machte, eine Rolle.
Einer der Faktoren, die zu dieser Zerrüttung beitrugen, waren die Nachwirkungen der politischen Spaltung der Professoren, die bereits in den 1830er Jahren sichtbar geworden war: Damals hatten die Liberalen gegenüber den Konservativen die Meinungsführerschaft erringen können, auch wenn sie in der Reaktionsära nach 1848/49, als dem Historiker Georg Gottfried Gervinus und dem Philosophen Kuno Fischer die Lehrerlaubnis entzogen wurde, vorübergehend an Einfluss verloren. In den 1860er Jahren lebten die politischen Kontroversen innerhalb der Universität wieder auf, wobei sich die Gegensätze von Liberalismus und Konservativismus nun auf einen zusätzlich konfessionell aufgeladenen Streit zwischen den Kleindeutschen, das heißt: den zumeist protestantischen Befürwortern einer preußischen Nationalstaatsgründung und ihren großdeutsch-katholischen Gegnern verlagerten. Zwar war der Historiker Ludwig Häusser, der ehemalige Erzieher der badischen Prinzen und Wortführer der Kleindeutschen, bereits 1867 gestorben, und mit dem Vollzug der Reichsgründung 1870/71 verlor dieser politische Grundsatzstreit rasch seine aktuelle Relevanz; die Belastung der persönlichen Beziehungen vieler Professoren zueinander wirkte jedoch offenkundig längere Zeit nach.
Hinzu kamen die unterschiedlichen Interessen der einzelnen Fakultäten und Fächer in den Diskussionen über die Verteilung der Ressourcen in dem nun verstärkt einsetzenden Expansionsprozess der Universität, so dass 1871 eine nicht unbedingt zentrale Streitfrage den Anlass zu einer langwierigen Kontroverse bot: die Kompetenzabgrenzung zwischen dem Senat und der Bau- und Ökonomiekommission der Universität, die von der badischen Regierung kurzerhand aufgelöst wurde, als sich die Kontrahenten zu keiner Konsenslösung fähig zeigten. Hierin erblickte ein Teil der Professoren, unter ihnen vorwiegend Naturwissenschaftler, Großdeutsche und Konservative, einen Angriff auf die Autonomie der Universität, während die tendenziell eher liberal und preußenfreundlich orientierten Geisteswissenschaftler die Gegenposition bezogen. Die Arbeit in den Selbstverwaltungsgremien der Universität wurde fortan auch von persönlichen Animositäten überschattet, so dass der eigentliche Streitanlass in den Hintergrund rückte und bald allgemein der Ekel über diese Cliquenwirthschaft vorherrschte, wie es der Historiker Treitschke im Sommer 1872 in einem Brief formulierte – ein Jahr bevor er selbst einen Ruf nach Berlin annahm.
Der personelle Aderlass der frühen 1870er Jahre schadete dem wissenschaftlichen Renommee der Ruperto Carola indes nicht dauerhaft. Vielmehr gelangen rasch namhafte Neuberufungen, von denen an dieser Stelle nur zwei genannt seien: 1874 gewann die Juristische Fakultät den bedeutenden Pandekisten Ernst Immanuel Bekker, der bei der 500-Jahr-Feier als Prorektor amtierte, und bereits 1872 war der knapp 20 Jahre zuvor aus Heidelberg vertriebene Philosoph Kuno Fischer als Ordinarius nach Heidelberg zurückgekehrt (Abb. 6). Ihm fiel beim Jubiläum von 1886 die Aufgabe zu, beim Festakt in der Heiliggeistkirche die Heidelberger Universitätsgeschichte in ihrem historischen Gesamtzusammenhang zu würdigen. Vielen Zuhörern blieb seine Rede vor allem wegen ihrer übermäßigen Länge in unangenehmer Erinnerung, es regte sich aber auch einige inhaltliche Kritik daran, dass Fischer doch sehr einseitig nur die Blüte der Universität in den protestantisch geprägten Epochen betont und ihren Wechsel von Aufstieg und Niedergang mit den Konjunkturen des Nationalstaatsgedankens parallelisiert habe. Ein weithin akzeptiertes und dauerhaft wirksames Leitbild vermochte Fischer jedenfalls bei der 500-Jahr-Feier nicht zu formulieren. Wie ein solches für eine fachlich, personell und baulich rasch wachsende Universität, die trotz aller Förderung durch Großherzog Friedrich I. keine klassische Landesuniversität war, sondern wie fast im gesamten 19. Jahrhundert weiterhin überwiegend auswärtige und in zunehmendem Maße auch ausländische Studenten anzog, überhaupt hätte aussehen können, muss wohl offen bleiben.
Reviewing Editor
Heike Hawicks
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Editor
Heike Hawicks
Universitätsarchiv Heidelberg, Heidelberg, Deutschland
Editor
Ingo Runde
Universitätsarchiv Heidelberg, Heidelberg, Deutschland