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Die Alte Aula der Universität Heidelberg
Funktion und Nutzung der Alten Aula im Wandel der Zeit
Heike Hawicks
Der nun folgende Überblick über Funktion und Nutzung der Alten Aula während der letzten drei Jahrhunderte ist in seiner ausschnitthaften Betrachtungsweise zugleich eine Reise im Zeitraffer durch die Geschichte der Universität Heidelberg: Nach einem kurzen Rückblick auf ihre spätmittelalterlichen Wurzeln liegt der Schwerpunkt auf den Jahren 1715 bis 1903, in welchen die Aula der vornehmste Saal der Universität war. In einem Ausblick wird die Zeit ab 1903 beleuchtet, als neben die Aula der Festsaal des sog. ‚Neuen Kollegienhauses‘ im ehemaligen ‚Musäumsgebäude‘ trat. Abschließend wird anhand von Fotografien die Phase ab 1930 in den Blick genommen, in der mit dem Schurmannbau die Bezeichnung Alte Universität für diesen Teil amtlich wurde, da mit der Neuen Universität auf dem Universitätsplatz neben die Alte auch eine Neue Aula trat.
Gehen wir also zunächst in jene Zeit zurück, in der es das heutige Gebäude ‚Alte Universität‘ noch nicht gab. Vor der Zerstörung Heidelbergs im Jahre 1693 hielt die Universität größere Versammlungen auch im Augustinerkloster ab, welches sich auf dem heutigen Universitätsplatz befand (Abb. 1). Dort hatte sie zur Gründungszeit 1386 ihre erste Unterkunft gefunden und wohl ihren ersten Rektor gewählt; seit 1476 wurden im Kloster auch auf das Universitätsstudium anrechenbare theologische Vorlesungen und Disputationen gehalten. Bald nach der Gründung hatte die Universität Grundstücke und Gebäude in der Stadt erhalten und Mitte des 16. Jhs. wurde schließlich mit Erlaubnis von Papst Julius III. das neu eingerichtete Collegium Sapientiae in dem nun aufgelassenen und der Universität inkorporierten ehemaligen Augustinerkloster untergebracht.
Über 100 Jahre später brachte die im Beitrag von A. Cser thematisierte völlige Zerstörung Heidelbergs im Jahre 1693 einen tiefen Einschnitt in die Geschichte der Stadt und seiner Universität. Das ehemalige Augustinerkloster wurde nicht wiederaufgebaut, nur Straßennamen erinnern heute an seinen Standort (Abb. 2). Auch das Richtung Mitteltor anschließende Casimirianum, welches 1588 bis 1591 unter dem Administrator Johann Casimir errichtet worden war, um den maroden Vorgängerbau, das Dionysianum, zu ersetzen, wurde in Mitleidenschaft gezogen. Erst 1712, also fast 20 Jahre später, begann man an dieser Stelle mit dem Neubau eines Universitätsgebäudes, der sog. domus Wilhelmiana, benannt nach dem von 1690 bis 1716 amtierenden Kurfürsten Johann Wilhelm, der in seiner niederrheinischen Residenz Düsseldorf auch Jan Wellem genannt wurde (Abb. 1 im Beitrag Cser auf S. 34).
Vom 13. März 1715 datiert schließlich die Ersterwähnung der (Alten) Aula in einer heute im Universitätsarchiv befindlichen Akte (Abb. 3). Sie zeugt im Rahmen eines Handwerker-Angebots von Stugatur arbeith in dem großen Sahl Ewer hochlöbl(ichen) Universitaet Neuen Hauses.
Vergleichbare Aula-Gestaltungen des 18. Jhs. erfolgten bspw. in Freiburg, Breslau und Wien. Über die damalige barocke Ausstattung des hiesigen Saales, insbesondere seiner Decke, handelt der Beitrag von R. Düchting, in dem auch der in einer Zeichnung erhaltene damalige Zustand abgebildet ist.
Doch wie ging es mit diesem Saal weiter? Im April 1720 erfahren wir etwas über eine Versammlung in Aula Maiori (Abb. 4). Diese universitäre Zusammenkunft fand in einer für Heidelberg äußerst turbulenten Zeit statt. Der seit 1716 regierende Kurfürst Karl Philipp hatte 1718 seine Residenz von Düsseldorf nach Heidelberg verlegt, geriet aber gleich über die Nutzung der zwischen Katholiken und den Reformierten geteilten Heiliggeistkirche mit dem Kirchenrat in Streit. Schon 1719 hatte er den Reformierten das von ihnen genutzte Kirchenschiff gewaltsam entzogen, was dazu führte, dass am 29. Februar 1720 der Kaiser in den Streit eingriff, mit dem Ergebnis, dass die Hälfte der Heiliggeistkirche für den Kurfürsten verloren ging. Unter anderem als Reaktion darauf verlegte er im April/Mai seine Residenz nach Mannheim. Dem Universitätsstandort Heidelberg drohte also das Wegbrechen seiner kurfürstlichen Unterstützung vor Ort, zumal in Mannheim mit der Grundsteinlegung für das dortige Schloss als neuer Residenz eine rege Bautätigkeit begann, deren erste Phase in Form der Errichtung des Mannheimer Hauptbaus von 1720 bis 1726 währte. Entsprechend verzögerte sich der Weiterbau der domus Wilhelmiana wegen Geldmangels, weshalb sich die Errichtung des neuen Gebäudes bis 1727/28 hinzog. In Mannheim wurde indes der Innenausbau der Residenz bis 1731 abgeschlossen; es folgte mit der Errichtung von Opernhaus und westlichem Außenflügel eine weitere Bauphase, die 1742 mit dem Todesjahr von Kurfürst Karl Philipp endete, der tatsächlich seine Energie dem Ausbau der neuen Residenz zugewandt hatte.
Unter dem ihm folgenden Kurfürsten Carl Theodor (1742–1799) besserte sich die Situation für Heidelberg allmählich wieder: Es bestand Hoffnung, denn der Kurfürst beabsichtigte, Heidelberg zur Sommerresidenz auszubauen – aus dieser Zeit stammt bspw. das berühmte Heidelberger Fass von 1751. Auch bis heute erhaltene Bauwerke in der Stadt wie das ab 1775 erbaute Karlstor oder die nach dem verheerenden Eisgang von 1784 bis 1788 wieder errichtete Alte Brücke zeugen von dem Aufschwung, den Heidelberg unter Carl Theodor nahm. Die Universität profitierte ebenfalls von dem Wandel, so dass die domus Wilhelmiana bis Mitte des Jahrhunderts einschließlich des Fassadenanstrichs fertiggestellt werden konnte.
Verschiedene Nachrichten sind aus der anschließenden Zeit überliefert, bspw. die Notwendigkeit der Erweiterung der Aula academica im Jahre 1764, da sie durch die sich alltäglich mehr und mehr anhäuftendte Studierende Jugend allerdings zu eng werdten will. Mit ihrer Ausführung wurde Prof. Schwan beauftragt. Dass Maßnahmen an der Aula durchgeführt wurden, belegt auch eine überlieferte Vergütungsmitteilung an den Bildhauer Dücher für die Porträtrahmen Sr. Churf. Durchlaucht. Wenige Jahre später (1771) wurde ein Tischgen angeschafft, um darauf bey vorseyenden Promotionibus die Scepter darauf legen zu können. Auf einer Zeichnung und einem Foto vom Ausgang des 19. Jahrhunderts ist zu sehen, dass die Szepter wohl auf besagtem ‚Tischchen‘ liegen – allerdings ist es anlässlich der Jubiläumsfeierlichkeiten mit der 1886 von den Damen gestifteten Decke bedeckt [ (Abb. 5) und Beitrag Runde Anm. 13 auf S. 90].
Der positive Trend war jedoch nicht von langer Dauer. Nachdem 1764 ein Blitzschlag am Schloss große Schäden angerichtet hatte, wurde die dortige Renovierung eingestellt und der Plan einer Sommerresidenz auf dem Schlossberg ad acta gelegt. Damit nicht genug, wurde noch im nämlichen Jahr in Mannheim die Akademie der Wissenschaften gegründet. Die Verlegung der Residenz von Mannheim nach München im Jahre 1777 bedeutete schließlich einen unumkehrbaren Rückschlag. Das 1786 begangene 400-jährige Universitätsjubiläum, zu dem auch Papst Pius VI. in einer erhaltenen Jubiläumsurkunde seinen Segen spendete, brachte mit Blick auf die Aula eine Ausbesserung der Decke sowie Anstricharbeiten an den rußigen Holz-Vertäfelungen mit sich. Doch die Feierlichkeiten dieses Jubiläums konnten die Resignation nur überdecken, die folgende Krise war nicht mehr abzuwenden.
Ehemaliger Glanz wich wirtschaftlicher Depression, so dass 1793 passend zu dieser Grundstimmung gar darüber berichtet wird, daß auf das Chörgen in aula Wasch aufgehenket wird, daß solches [jedoch] immer geschlossen bleiben und der schlissel zu selbigem herrn Rectori Magnificio eingeliefert werden soll (Abb. 6). Als nach dem Tod Carl Theodors 1799 und einem kurzen Regiment von Maximilian Joseph die rechtsrheinische Pfalz 1802 an Baden überging, war die Universität völlig verarmt. Mit Kurfürst Karl Friedrich, ab 1806 Großherzog von Baden, erfolgte 1803 das bekannte Organisationsedikt, aufgrund dessen die Universität eine neue jährliche Dotation erhielt. Eingedenk ihrer beiden Stifter hieß sie seit 1805 Kurfürstlich… und seit dem Wintersemester 1806/07 dann Großherzoglich Badische Ruprecht­Carolinische Universität (Abb. 7).
Die Aula wurde jedoch nach wie vor Aula Wilhelmiana genannt und als großer akademischer Hörsaal bezeichnet, der zu öffentlichen Redeübungen und Festen diente, wie der Almanach der Universität aus dem Jahr 1813 uns wissen lässt. Zum nämlichen Zeitpunkt war die Büste Karl Friedrichs bereits aufgestellt, wie ebenfalls mitgeteilt wird.
Als im Jahre 1825 über den Bau neuer Auditorien im Universitätsgebäude nachgedacht wurde, obwohl der Betrieb mit rund 650 eingeschriebenen Studenten insgesamt noch recht überschaubar war, geriet auch die (Alte) Aula ins Blickfeld; allerdings wurde von einer Verwendung des Vorplatzes zur Aula abgeraten, da die Folge davon wäre, daß der Zugang zum kleinen Handaktensaale, und, was noch mehr entscheidet, der Eingang in die Aula, der in feierlichem Zuge vom ganzen Corpus der U(niversität) betreten wird, verengert und verdunkelt wird. Ein Gesuch der Studenten um Erlaubniß zur Benutzung der Aula für ihre musikalischen Übungen wurde dagegen am 30. November 1825 unter folgenden Bedingungen für unbedenklich erklärt:
  • 1.Wenn die Studierenden denen es ohnehin obliegen muß, für einen Ofen zu sorgen, in Ansehung des Heizens mit dem O(ber) Pedellen Ritter eine Übereinkunft treffen, so daß dieser darüber die Aufsicht führt und keine fremden Personen an der Besorgung des Ofens Theil nehmen.
  • 2.Wenn das Tabakrauchen verboten wird,
  • 3.die Gesellschaft auch wegen der Reinigung des Saales sich mit dem O(ber) Pedellen verabredet,
  • 4.nur einer geschlossenen Gesellschaft deren Mitglieder bekannt sind, oder anderen bekannten, zuverlässigen Personen der Eintritt gestattet wird, zu welchem Behufe Charten einzuführen sind, welche beim Eingang einem dazu bestellten Aufseher (am besten einem von der Gesellschaft bestellten Unterpedellen) vorgezeigt werden.
  • (diese Maaßregel scheint darum nothwendig zu sein, weil es sonst nicht mögl(ich) wäre, mancherlei Unfug in der großen, nicht ganz durch Lichter zu erhellenden Aula und insbesondere Beschädigungen an dem Gehäuse der Büste u(nd) d(er)gl(eichen) zu verhüten.)
  • 5.wenn der Genuß von Getränken oder Speisen in dem Saale untersagt und
  • 6.die Gesellschaft noch im Allgemeinen an Anwesenden verursacht werden möchte.
    ihre, sich übrigens von selbst verstehende Verpflichtung erinnert wird, für jeden besonderen Schaden zu haften, der von den
Die in dieser Angelegenheit wegen des Manuscriptenzimmers sowohl als wegen der Sicherheit der Bibliothek überhaupt befragte Bibliotheksdirektion teilte am selben Tage mit: Da der Senat nichts dagegen hat, so haben wir die Frage, ob diese Verwendung der Aula mit ihrer Bestimmung nicht in Widerspruche stehe, ganz zu beseitigen und uns nur an die Rücksicht auf das Gebäude zu halten (ich finde auch von jener Seite nichts Bedenkliches). In der Aula wird nichts beschädiget, wenn die Büste zugedeckt wird u(nd) nur bekannte Studenten den Einlaß erhalten. Der Rauch der Lichter wird nichts mehr verderben, da die Wände schon schmutzig genug sind; es kom(m)t also hauptsächlich die Feuersicherheit in Betracht, wobei aber auch nichts zu besorgen steht. Die Vorrichtungen für die Installation eines Ofens seien schließlich vorhanden, allerdings solle Oberpedell Ritter die Aufsicht übernehmen.
Dem offenbar recht angeschlagenen Zustand der Aula sollte 1829 durch eine gründliche Renovierung begegnet werden: Es wurde von der Oeconomie-Commission ein Gerüst aufgestellt, auf dem laut Vertrag vom 9. Juli 1829 zunächst von einem Maurer die schadhaften Stellen der Wände, die Stuckaturarbeit derselben und der Decke auszubessern waren. Anschließend hatte dieser das Gerüst dem Maler Schmidt zu überlassen, der nach Anweisung und unter der gefälligst übernommenen Leitung des Herrn Professor Roux die Plafond-Gemälde an der Decke der Aula verzieren sollte. Dann waren die Stuckatur der Decke und Wände des Saales nebst dem Gesimse und den Leisten unter der Decke der Loge mit einem feinen Kreide-Ueberstrich weiß herzustellen und die innere Seite der Sitze und der Katheder mit guter weißer Leimfarbe anzustreichen. Schließlich sollte Schmidt die ebenen Theile der Decke, was nicht Gesimse und Gemälde ist, die Wände der Aula, die Decke und Wände der Loge und der Gallerie unter derselben mit der im Wesentlichen bereits bestimmten hellgrünlichen Leimfarbe anmalen, die Gallerie der Loge mit Leinen überziehen, dieses mit Papier überkleben, solches mit der genannten Leimfarbe anstreichen und eine Guirlande in jedes der drei Felder malen. Ferner hatte er das Katheder und die Banklehnen desgleichen die Säulen der Aula mit Halbglanzfarbe anzustreichen, die Sitze dagegen oder die Bänke, mit Ausnahme der mit Leder überzogenen, desgleichen das, was unter diesen ist, mit Oelfarbe.
Eine Zeichnung von der Eröffnungssitzung des ersten deutschen Handelstages 1861 in Heidelberg gibt einen Eindruck davon, wie die Aula in jener Zeit ausgesehen hat (Abb. 1 im Beitrag Düchting auf S. 44). Versammlungen wie die letztgenannte fanden in der Aula zuvor auch unter politischen Vorzeichen statt. Nur zwei Tage nach dem Beginn der ‚Badischen Revolution‘ mit der Mannheimer Volksversammlung vom 27. Februar 1848 und kurz vor der Heidelberger Versammlung am 5. März im Badischen Hof kam es laut Deutscher Zeitung am 29. Februar unter Vorsitz von Prof. Carl Joseph Anton Mittermeier zu einer „Versammlung, die der weite Aulasaal zu fassen kaum hinreichte“, bestehend „aus Männern jeden Standes und jeder politischen Farbe“. Sie wurde angesehen als „der erste größere Versuch, eine Versammlung aus gemischten Elementen, eine eigentliche Volksversammlung auf der Bahn einer geordneten Debatte zu halten“. Immer wieder wurde die Aula nun zum Treffpunkt von „Bürgerversammlungen zur Lage des Vaterlandes“, wobei radikale Forderungen keine Mehrheit fanden, denn Redner wie der Rechtswissenschaftler Mittermeier und der Geschichtsprofessor Ludwig Häusser vertraten gemäßigte Standpunkte. Doch bei der zweiten Sitzung des am 30. März in der Aula konstituierten bürgerlichen Komitees kam es am 12. April bei der Frage der Einquartierung fremder Truppen zu tumultartigen Unmutsäußerungen radikaler Gäste. Vier Tage später suchte der ehemalige Heidelberger Jura-Student Alexander von Soiron, ein Mitglied des Fünfziger-Ausschusses, am 16. April mit einer leidenschaftlichen Rede einen auch für die radikalen Vertreter gangbaren Weg zur Bildung einer Zentralgewalt. Am 19. April 1848 – also kurz vor dem Scheitern des Heckerzuges und dem Ende der bewaffneten Aprilunruhen in Baden – fand in der Aula noch unter dem Prorektorat des Nationalökonomen und Vorparlament-Mitglieds Carl Rau zudem eine Studentenversammlung statt. Unter dessen Nachfolger, dem Theologen Richard Rothe, zeigte sich der Engere Senat am 27. November desselben Jahres bei einem Antrag, die Aula erneut für eine Studentenversammlung zu nutzen, deutlich zurückhaltender: „Der Anspruch auf eine Benutzung der akademischen Aula für Versammlungen der Studierenden zu studentischen Zwecken war bisher den Akademikern völlig fremd und geht von einer ganz neuen Ansicht von der Stellung der Studierenden zur Universität aus, die mit dem wahren Zweck des Besuchs der Hochschule unverträglich ist […]“. Man bat das Großherzogliche Ministerium, dem Antrag nicht stattzugeben, verbunden mit der „gehorsamsten Bitte, daß die vorgesetzte Behörde aus dieser Veranlassung allgemeine Normen für die Benutzung der akademischen Aula aufstellen wolle, und zwar in der Richtung, dass dieselbe ausschließlich für feierliche Akte zu verwenden sei“. Der Heidelberger Gemeinderat hingegen kam im Mai 1849 offenbar auf den Gedanken, die in die Defensive geratene Frankfurter Nationalversammlung einzuladen, nach Heidelberg überzusiedeln und ihre Sitzungen in der Aula der Universität abzuhalten – hierzu kam es nicht, da sich das verbliebene Rumpfparlament zu einer Übersiedlung nach Stuttgart entschloss.
Der festliche Charakter der Aula kam dann wieder anlässlich des großen 500-jährigen Jubiläums 1886 zur Geltung. Im Vorfeld wurde sie durch Oberbaurat Josef Durm aus Karlsruhe grundlegend neu gestaltet, worüber der Beitrag von Ch. Lagemann handelt [ (Abb. 8) und (Abb. 9)]. Bereits 1885 war durch Musikdirektor Philipp Wolfrum der Akademische Gesangverein gegründet worden, welcher in seiner Satzung die Pflege des Männergesangs unter den Studierenden und gelegentliche Unterstützung der von der Universität veranstalteten Feierlichkeiten als Zweck nannte. Vor und zu Aufführungen des Vereins konnte dieser die Galerie der Aula für Proben nutzen. Wie auf einem zeitgenössischen Plan zu sehen ist, wurde die obere Quergalerie der Aula bei der Renovierung als Musiker- und Sängerbühne konzipiert, auf der immerhin 80 Musiker und Sänger auftreten konnten (Abb. 1 im Beitrag Wassermann auf S. 100).
Im Vorfeld der Renovierung hatte der Theologieprofessor Merx am 18. Oktober 1885 einen Antrag zur baulichen Einrichtung für Musikaufführungen in der Aula der Universität an die Mitglieder der Jubiläumscommission für Musik gestellt, in dem es um eine flexible Erweiterungsmöglichkeit für die Musikertribüne ging. Mit knapper Mehrheit entschied die Jubiläums-Subcommission für Musik am 21. Oktober, dem Herrn Oberbaurath Durm officiös den Antrag des Herrn Prof. Dr. Merx zu gefälliger Erwägung mitzutheilen, ob dem in diesem Antrag ausgesprochenen Interesse in einer Weise genügt werden könne, welche den ästhetischen und architektonischen Eindruck des reparirten Saales nicht beeinträchtigen. Bereits zwei Tage später wandte sich die Jubiläumscommission für
Musik an die Jubiläums-Commission Heidelberg und teilte mit, daß Herr Musikdirector Boch bisher bei akademischen Feierlichkeiten für ein Orchester von 36 bis 40 Musikern ausreichend Platz gehabt hat; daß ferner Herr Musikdirector Wolfrum einen Raum für einen Chor von 50 Sängern und ein Orchester von 36 Musikern für wünschenswerth hält, da die Mitwirkung eines Sängerchors bei akademischen Feierlichkeiten und speziell bei dem Empfang der Ehrengäste in der Aula zur Zeit des Universitäts-Jubiläums einen würdigeren musikalischen Eindruck machen würde, als Musik ohne Gesang. Durm hatte einige Einwände, zeigte jedoch auch recht günstige Lösungsansätze auf und versprach, den Wünschen der Universität entgegen zu kommen. Der oben erwähnte und im Beitrag von F. Wassermann abgebildete Plan stellt mit der Bereitstellung von Raum für insgesamt 80 Musiker und Sänger wohl das Ergebnis des besagten Kompromisses dar. Unter Nutzung der Örtlichkeit wurden in der Aula Musikabende und Konzerte abgehalten. Daneben ging es auch um die musikalische Ausgestaltung bei der Feier des alljährlichen Universitätsfestes.
Prof. Josef Durm hatte 1886 über die ursprüngliche barocke Aula berichtet, „die horizontale Putzdecke, von großen Hohlkehlengesimsen umrahmt, wie die Wände“ hätten „Stuckverzierungen, gelb in gelb und Buntmalereien von zweifelhafter Güte“. Der bereits 1873 gescholtene Stil der Aula wurde anlässlich des 500-jährigen Jubiläums von Josef Durm einer „würdigen“ Restauration unterzogen und in „geschmackvoller Ausstattung hergerichtet“. Die damals hochgelobten und heute noch sichtbaren Veränderungen Durms stießen zur Zeit der darauffolgenden Jahrhundertwende jedoch ihrerseits auf wenig Gegenliebe, wie der Schrift des großh(erzoglichen) Regierungsbaumeisters Dr. Fritz Hirsch über die Universitätsgebäude in Heidelberg aus dem Jahre 1903 zu entnehmen ist: „Was Durm gesehen hat, war die unter Laienleitung zustande gekommene handwerksmäßige Übermalung Schmidts vom Jahre 1829. Denkt man ferner an die Geringschätzung, mit der man bis vor einigen Jahren ganz allgemein und besonders lange in Karlsruhe die Werke der Barockzeit betrachtete, dann wird man die im Jahre 1886 vorgenommene Beseitigung bzw. Verhüllung des alten Aulaschmucks als eine bedauerliche Folge eines verirrten Zeitgeschmacks, billigerweise aber nicht als einen persönlichen Mißgriff des Architekten von 1886 verzeichnen“.
Bald nach den umfangreichen Feierlichkeiten von 1886 folgte in der (Alten) Aula ein weiterer Höhepunkt mit dem 1903 begangenen 100-jährigen Jubiläum der Reorganisation der Universität in Anwesenheit des Großherzogs Friedrich I. von Baden. Von dem Festakt ist eine Fotografie überliefert, die uns erstmals auch einen unmittelbaren Eindruck von der Sitzordnung vermittelt (Abb. 11). Sie entspricht einem Sitzplan aus jener Zeit. Er zeigt deutlich, wie man sich damals die Nutzung der Aula eigentlich vorstellte: Streng hierarchisch werden hier die Sitzplätze für die einzelnen Personen und Personengruppen festgelegt [ (Abb. 10a) und (Abb. 10b)].
Einige Sitzzuweisungen sollen hier kurz herausgegriffen werden: Vom Eingang aus gesehen nahmen auf den sieben Sitzplätzen rechts vorne an der Stirnwand laut Plan die Theologen Platz, auf der anderen Seite die Juristen und in den vorderen Rundungen der Estradenbänke die Naturwissenschaftlich-Mathematische Fakultät. Im inneren Kreis, also direkt vor der Kanzel nahmen der Engere Senat und die Redner Platz. Derjenige, der als Redner auftrat, stand vom Betrachter aus gesehen links, in der Mitte saß Seine Königliche Hoheit, also der Großherzog von Baden, und dem Redner gegenüber der Prorektor. Direkt vor ihnen nahmen mit einigem Abstand zu den ersten Stuhlreihen, die in der Höhe von Sitz Nr. 8 begannen, die Fürstlichkeiten Platz. Auf den beiden vordersten Stuhlreihen folgten die Hofchargen, das Staatsministerium, die Excellenzen, die Kammer, Prälat, Bischof, Landeskommissar und Oberbürgermeister, hinter ihnen bis zur Höhe von Sitzplatz 21/22 die Deputierten der Universitäten und Technischen Hochschulen. Auf den seitlichen Estradenbänken saßen vom Betrachter aus gesehen links die Dozenten der Medizinischen Fakultät und gegenüber die Dozenten der Philosophischen Fakultät. Auf den hinteren Sitzbänken durften Studenten Platz nehmen, auf den hinteren Stuhlreihen sonstige Ehrengäste. Seitlich vom Eingang wurden Pressevertreter und die Damen des Engeren Senats platziert. Für die Feierlichkeiten von 1903 war also eine genaue Sitzverteilung vorgegeben.
Die Jubiläumsfeier von 1903 war wohl die vorerst letzte große Veranstaltung in der (Alten) Aula, denn nach der Fertigstellung der Stadthalle am Neckar ging das 1827/28 errichtete „Musäumsgebäude“ der 1811 gegründeten Heidelberger „Musäumsgesellschaft“ auf dem Ludwigsplatz (Paradeplatz) 1901 in staatlichen Besitz über (Abb. 12). Parallel zur Errichtung des 1905 eröffneten neuen Bibliotheksgebäudes auf dem Gelände an der Peterskirche wurde das ehemalige „Musäum“ 1903/04 zu einem Hörsaal- und Institutsgebäude für die Universität ausgebaut. Seit 1906 als „Neues Kollegienhaus“ bezeichnet, war dessen großer Saal nun der Ort vieler universitärer Vorträge und Veranstaltungen wie bspw. der akademischen Trauerfeier für Großherzog Friedrich I. am 25. Oktober 1907. Der Grund ist ein denkbar einfacher: Mit 800 Plätzen beherbergte dieses ehemalige „Gesellschafts-Haus gebildeter Stände“ einen der größten Säle Heidelbergs. Sein Nachfolger Friedrich II. von Baden hingegen wünschte sich zur Eröffnungsfeier der Akademie der Wissenschaften im Jahre 1909 dezidiert, wofür am 25. Juni beantragt wurde, die Aula in ihren früheren Zustand zu versetzen, also für die Feier die Bänke entfernen und sie entsprechend herrichten und ausschmücken zu lassen.
In den Folgejahren finden sich einige alternative Ansätze für die Nutzung der Aula in den Archivbeständen. Anno 1909/10 ist wieder von einer Nutzung als Hörsaal die Rede – allerdings sollte nach Stellungnahme des Ministeriums die Benützung der Aula als Hörsaal nur in Notfällen, aber nicht in der Regel eintreten. Größere Vortragsveranstaltungen wurden dagegen im Neuen Kollegienhaus abgehalten, so bspw. der Zyklus von Kriegsvorträgen zugunsten des Roten Kreuzes 1914/15. Auch die akademische Feier des 400-jährigen Reformationsjubiläums am 1. November 1917 fand im grossen Saale des neuen Kollegienhauses (Grabengasse) statt – hierfür dürfte nicht nur die Zahl der Plätze, sondern auch die vorgesehene Orgelmusik ausschlaggebend gewesen sein. Diesbezüglich reichte Musikdirektor Wolfrum jedoch die für Uebungen verfügbare Zeit an der Orgel wegen der gestiegenen Nachfrage nach Ueberlassung des großen Saales (der Aula) nicht aus, weshalb er 1911 die Anschaffung einer kleinen Uebungsorgel für einen anderen verfügbaren Raum vorschlug, wenn es nun nicht angehen sollte, daß ein Teil dieser Anforderungen durch die meist leer stehende alte Universitätsaula befriedigt werde. Andererseits bedeutete der zunehmende Orgelbetrieb offenbar für alle Dozenten, die im neuen Kollegienhaus Vorlesungen oder Übungen hielten, eine starke und steigende Störung. Prorektor von Duhn merkte in seiner Reaktion auf das Schreiben Wolfrums an, dass es sich hier um schon seit Eröffnung des neuen Kollegienhauses oft und schmerzlich empfundene Missstände handelt, da jenes konstruktiv so ausserordentlich schlechte Gebäude so durchhörig ist, dass jeder Orgelton durch den größeren Teil des Gebäudes gehört wird. Daher beantragte er gegenüber dem Engeren Senat, dass nicht nur eine Uebungsorgel bewilligt werden könnte, sondern auch in . Im Falle der Genehmigung wollte dieser einen verfügbaren Flügel dort aufstellen und wegen – nur im mässigen Grade nötigen – Heizung jedesmal dem Hausmeister rechtzeitig Nachricht geben […]. Beleuchtungsausgaben würden eine geringe Rolle spielen, da die Lichter an den Musikpulten im Wesentlichen genügen würden.
Wie die hier gewählten Formulierungen zeigen, wurde der modernere und größere Saal des neuen Kollegienhauses bereits als eigentliche Aula angesehen, die von der offenbar nun deutlich seltener genutzten „alten Aula“ im Universitätsgebäude zu unterscheiden war. Durch diese bessere Alternative konnte man sich offenbar Zeit lassen, die in der domus Wilhelmiana 1919 begonnene Installation der elektrischen Beleuchtung erst im Jahre 1924 auf die dortige alte Aula auszudehnen. Diese technischen Aspekte dürften einen nicht unbeachtlichen Grund dafür dargestellt haben, dass sie gegenüber anderen Räumlichkeiten in der ersten Hälfte des 20. Jhs. ins Hintertreffen geriet. Erst nach der entsprechenden Nachrüstung gibt es wieder einige Nachrichten und Bilder über die Nutzung der alten Universitäts-Aula als Vortragssaal, so z. B. anlässlich der ersten Sitzung der 28. Versammlung der Astronomischen Gesellschaft im Jahre 1928, die 65 Jahre zuvor in Heidelberg gegründet worden war. Zwei Jahre später wurde das Kaiser-Wilhelm​­Institut (heute Max-Planck-Institut) für medizinische Forschung in der Aula des Universitätsgebäudes eröffnet (Abb. 13).
Die kleine Zeitreise durch die Jahrhunderte endet mit dem Bau der Neuen Universität: Am 10. Dezember 1928 erging der amtliche Beschluss, dass das bisherige Universitätshauptgebäude in „Alte Universität“ umzubenennen sei, während der zwischen der Alten und der Neuen Universität liegende Ludwigsplatz zum Universitätsplatz wurde. Im Sommer des darauffolgenden Jahres wurde mit dem Abbruch des Kollegienhauses von 1828 im Weinbrennerstil begonnen. Die Grundsteinlegung für das Gebäude der Neuen Universität erfolgte im Januar 1930. Im Sommer des darauffolgenden Jahres 1931 konnte die Einweihung des Hauptgebäudes und des Westflügels der Neuen Universität, nach dem amerikanischen Botschafter Schurmanbau genannt, stattfinden. Schurman hatte die Erbauung durch Sammlung von Spenden amerikanischer Bürger ermöglicht, weshalb ihm die Stadt 1928 das Ehrenbürgerrecht verliehen hatte.
In der folgenden Zeit lassen sich Veranstaltungen in der Aula der Neuen und der Aula der Alten Universität finden, für die sich nun folgerichtig die uns geläufige Bezeichnung Alte Aula endgültig durchgesetzt hatte. Eine Gegenüberstellung der jeweiligen Nutzungsanlässe wäre sicher grundsätzlich interessant, würde aber den Rahmen dieses Beitrages sprengen.
Unbestritten ist wohl, dass die Alte Aula spätestens seit dem 600-jährigen Universitätsjubiläum im Jahre 1986 wieder verstärkt für feierliche Anlässe genutzt wird, während sie bis 1985 noch der Theologischen Fakultät als Raum für Vorlesungen mit größerer Hörerzahl diente. Wichtige Vorträge und Jubiläen fanden dort freilich auch in der Nachkriegszeit statt, wie zwei Beispiele von 1945 und 1959 zeigen [ (Abb. 14) und (Abb. 15)].
Im Vorfeld der 600-Jahr-Feier wurde die Alte Aula für ihren ursprünglichen Zweck als Repräsentationssaal wieder hergerichtet, indem die Holzverkleidung gereinigt, die Durm'sche Bestuhlung rekonstruiert und die Lampen den historischen Beleuchtungskörpern nachempfunden wurden, wie im Beitrag von L. Mancino dargelegt wird. Beispiele aus den Bildbeständen des Universitätsarchivs dokumentieren die Feierlichkeiten von 1986 und zeigen zugleich die verschiedenen Nutzungsformen dieses großen Saales in der Alten Universität [ (Abb. 16), (Abb. 17) und (Abb. 18)].
Abschließend bleibt noch eine Beobachtung mitzuteilen, die demjenigen, welcher sich mit den hier präsentierten Daten beschäftigt, auffällig erscheinen muss: In den Jahren 1727/28 konnte die domus Wilhelmiana, der Neubau der nunmehr Alten Universität, vollendet werden. Genau ein Jahrhundert später entstand 1828 auf dem heutigen Universitätsplatz mit dem „Musäumsgebäude“ das spätere Neue Kollegienhaus und wieder 100 Jahre später an selber Stelle der Schurmannbau von 1928. Die ehemals Neue Universität war nach 200 Jahren zur Alten Universität geworden, die Aula – in ihrer Entstehung auf der Höhe der Zeit – offiziell zur nunmehr berühmten ‚Alten Aula‘ der traditionsreichen Universität Heidelberg. Heute wird diese von zahlreichen Touristen besuchte Sehenswürdigkeit „von der Universität überwiegend für akademische Feiern genutzt. Sie ist jedoch auch der Ort für Konzerte, Vorträge und ähnliche Feierlichkeiten, denen ihr ehrwürdiges Ambiente einen besonderen Glanz verleihen soll“ – so wie dies auch am 13. März 2015 anlässlich des 300-jährigen Jubiläums ihrer Ersterwähnung am 13. März 1715 der Fall war (Abb. 19).
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