Im Juli 2015 erschien das erstes Buch bei Heidelberg University Publishing. Heute sind es über 70 Publikationen (siehe offizielle Presseinformation). Wir bedanken uns bei allen Autorinnen und Autoren, die uns auf diesem Weg begleitet haben. Im Interview sprechen Verlagsleiter Dr. Veit Probst und Geschäftsführerin Dr. Maria Effinger über fünf Jahre heiUP, die Zukunft des Publizierens und den Epochenwandel, den sie mit dem jungen Verlag mitgestalten.
Dr. Maria Effinger and Dr. Veit Probst im Gespräch über heiUP
"Wir gestalten den Epochenwandel mit"
Der Online-Verlag heiUP ist zwar noch ein junges Pflänzchen in der Verlagsbranche, seine Akzeptanz unter wissenschaftlichen Autoren und Herausgebern ist aber fast schon so gefestigt wie eine alte Eiche. Grund genug, das erste Verlagsjubiläum zu feiern und mit dem Verlagsleiter, Dr. Veit Probst, und der Geschäftsführerin, Dr. Maria Effinger, nicht nur über Jahresringe des Verlagswachstums, sondern auch über den Medienwandel und die Zukunft des Publizierens zu sprechen.
Fünf Jahre heiUP: Der Anfang ist geschafft! Möchten Sie selbst Ihren Verlag und sein Profil kurz vorstellen?
Dr. Probst: Wir sind als Verlag im Juli 2015 gestartet, um primär die Heidelberger Spitzenforschung sichtbar zu machen, ohne dabei externe Autorinnen und Autoren auszuschließen. Es sind vor allem zwei Prämissen, die uns seither leiten: Das ist zum einen ein hoher Qualitätsanspruch. Dabei werden wir durch eine Rektoratskommission unterstützt, die uns als fächerübergreifender wissenschaftlicher Beirat begleitet. Nachdem eine Publikation vom Beirat im Grundsatz angenommen worden ist, muss sie durch zwei externe Gutachten zur Publikation empfohlen werden. Die zweite Prämisse ist das Online-Prinzip. Wir erscheinen immer online first.
Am 23. Juli 2015 erschien das erste Buch bei heiUP – der neue Verlag war in der Welt. Welche Schritte waren nötig, bis dieses erste Buch erscheinen konnte?
Dr. Effinger: Es war ein Prozess. Wir sind im Bereich des Open-Access-Publizierens schon weit über zehn Jahre zu Gange. Die Gründung von heiUP war dann ein Sichtbarmachen und das Schaffen eines besonders hochwertigen Umfeldes für Open-Access-Publikationen. Unsere Spitzenforscher wussten zwar, dass sie online sichtbarer sind als in der Printwelt, aber sie wollten keine E-Publikation nur als PDF in einem üblichen bibliothekarischen Repository, sondern suchten den Rahmen eines Verlags mit dem hohen Qualitätsanspruch, den Herr Probst eben beschrieben hat. Unser Ziel war es, dass es erstrebenswert ist, bei Heidelberg University Publishing publizieren zu dürfen. Das haben wir mit unserem Serviceangebot erreicht, und das hat den Bedarf noch weiter stimuliert. Und solche Ereignisse wie die Corona-Pandemie führen natürlich auch dazu, dass die Leute es zu schätzen wissen, wenn Wissen online verfügbar ist.
Dr. Probst: Zuerst haben wir uns sowohl in technischer wie in organisatorischer Hinsicht aufgestellt. Und dann bedurfte es für eine Verlagsgründung an einer so renommierten Universität einer universitätspolitischen Begleitung. Das waren drei wichtige strategische Schritte.
Dr. Effinger: Dazu gehörte zum Beispiel auch, Kolleginnen und Kollegen zu rekrutieren, die professionelle Ausbildungen im Verlagswesen haben!
Dr. Probst: Der dritte Schritt war und ist also die universitätspolitische Einbindung. Wir haben den Verlag auf der Basis von drei erfolgreichen DFG-Projektförderungen gegründet. Insofern waren unsere Vorüberlegungen bereits begutachtet und approbiert. Auf der Basis dieser Drittmittelprojekte haben wir dann der Universitätsleitung den Vorschlag gemacht, den Verlag institutionell an der Universitätsbibliothek zu verankern. Das ist ein weiterer Erfolgsfaktor, weil wir als Bibliothek über eine potente IT-Abteilung verfügen.
Dr. Effinger: Wir sind inzwischen in den großen wissenschaftlichen Knotenpunkten unserer Universität verankert. So haben wir zum Beispiel früh eine Kooperation mit der Heidelberger Akademie der Wissenschaften geschlossen, für die wir nicht nur Verlag, sondern auch Dateninfrastrukturpartner sind. Inzwischen arbeiten wir aber auch weit über die Universitätsgrenzen hinaus. Für die Max-Weber-Stiftung, die als Dach der deutschen historischen Auslandsinstitute fungiert, verlegen wir Publikationen der Institute Paris, Moskau und Rom. Und das ist auch für unsere primäre Heidelberger Klientel nützlich, weil sie dann in einen internationalen Kontext gestellt wird.
Gleich die ersten Bücher entsprangen ja nicht Heidelberger Forschungen
Dr. Probst: Das stimmt. Das Buch, mit dem der Verlag gestartet ist, war eine mit „summa cum laude“ bewertete Dissertation einer jungen Wissenschaftlerin der Universität Bern. Ein althistorisches Thema. Unser bislang erfolgreichstes Buch mit bislang über 17.000 Downloads stammt aus der Feder von Wolfgang Kemp, einem der renommiertesten deutschen Kunsthistoriker, der in heiUP eine umfangreiche Monographie über das Deutschlandbild der Deutschen in der Weimarer Republik veröffentlicht hat.
War es danach noch schwer, Autoren vom goldenen Open-Access-Weg zu überzeugen?
Dr. Effinger: Die stetig wachsende Bedeutung von Open Access war den meisten Wissenschaftlern am Anfang noch nicht so bewusst. Wir mussten, um die Autorinnen und Autoren für heiUP zu gewinnen, Rahmenbedingungen herstellen, die dem Service klassischer Print-Verlage in nichts nachstehen. Wir bieten deshalb ein professionelles Lektorat, einen professionellen Satz und hochwertige Printversionen. Eine buchtechnisch und ästhetisch ansprechende Printversion sichert in dieser Zeit des medialen Wandels den Erfolg eines Online-Verlags – so komisch das klingt. Viele unserer geisteswissenschaftlichen Autorinnen und Autoren haben sich auf Open Access eingelassen, sobald ihnen klar war, sie bekommen neben der Onlineversion einen ansprechend gestalteten Hardcoverband mit Fadenheftung und Lesebändchen. Sie behalten das alte klassische Modell, haben aber wahrgenommen, dass die UB Heidelberg auch für die neue Welt, das Digitale, die Online-Sichtbarkeit steht.
Dr. Probst: Es ist eben ein empirisches Faktum, dass Open Access unmittelbar zu mehr Verbreitung und Akzeptanz unserer Heidelberger Forschungen führt. Wir hatten im Jahr 2019 allein bei heiUP über 400.000 Downloads – und da reden wir noch gar nicht über unsere anderen Publikationsplattformen, arthistoricum.net für die Kunstgeschichte, Propylaeum für die Altertumswissenschaften und CrossAsia für die Asienwissenschaften. Wenn wir unsere Statistikserver auslesen, dann sehen wir, dass die Verlagsprodukte, die zu einem immer größer werdenden Teil auch auf Englisch erscheinen, weltweit rezipiert werden. Insofern ist für das junge Pflänzchen Heidelberg University Publishing die Akzentuierung auf „online first“ der Erfolgsgarant für die Zukunft.
Wird also in naher Zukunft die Online-Publikation die Print-Version ausstechen?
Dr. Effinger: Wir müssen einen Mentalitätswandel anstoßen! Das Primäre ist die Online-Publikation und die entsprechende Printversion ein Derivat davon. Autoren vergeben sich Chancen, wenn sie andersherum denken. Denn ein ausgefeiltes PDF-Layout kann man nicht einfach in eine HTML-Version übertragen. Online publizieren heißt als Format aber idealerweise HTML. Das ist es, wo wir hinwollen. Denn so können wir zum Beispiel die Forschungsdaten, auf denen die Publikationen basieren, oder ergänzende Informationen wie z.B. Bilder, Videos oder weiterführende Links online aufbereiten und mit den eigentlichen Büchern verlinken, Stichwort: „Enhanced Publication“. Dann kann der Leser zum Beispiel vom Buchtext direkt per Link in die Zusatzinformation springen. Zum anderen geht es aber auch darum, Ergebnisse maschinenlesbar zum Download bereitzustellen, sie nachnutzbar zu machen. Im Sinne eines Netzwerks öffentlich zugänglicher vernetzter Daten, den sogenannten Linked Open Data, arbeiten wir an einer Übergabe der Daten in die Maschinenwelt. Unsere Daten können dann XML-getaggt, also mit Metadaten versehen, in die Weiterverarbeitung mit anderen Daten zusammenfließen. Das ist unser Ziel.
Wie kann dieser Mentalitätswandel unterstützt werden?
Dr. Effinger: Flächendeckend verändern würde sich die Mentalität in Bezug auf das Online-Publizieren, wenn es Geld nur für Forschungsarbeiten geben würde, deren Ergebnisse im Open Access publiziert werden, so wie es etwa der Schweizer Nationalfonds macht. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft zum Beispiel hat sich gegen strenge Auflagen entschieden und nur eine Empfehlung ausgesprochen. Wenn es hier ein „Muss“ gäbe, würden sich die Verlagsaktivitäten in Deutschland noch viel schneller verändern.
Dr. Probst: Als Historiker ist mir natürlich die Parallele zu einer anderen historischen Zäsur bewusst. Das ist der Übergang von der mittelalterlichen Handschrift zum gedruckten Buch im 15. Jahrhundert. Wir arbeiten als Pioniere an einem Epochenwandel von ähnlichem Kaliber. In der Pionierzeit des Buchdrucks haben die ersten Drucker ganz eng am Vorbild der Handschrift gearbeitet. Bibelausgaben oder antike Klassiker wurden mit der Hand nachkoloriert, Miniaturen wurden hineingemalt, weil die Leser erwarteten, dass sie bei der Lektüre des Buches ästhetisch ähnlich angesprochen werden, wie sie das von der Handschrift kannten. Wir sind an einer ähnlichen Wendemarke: Der Epochenwandel ist in vollem Gange.
Dr. Effinger: So gesehen könnte man sagen: Wir imitieren noch das klassische Buchmodell. Aber wir gestalten den Weg in eine neue Medienwelt mit.
Ein viel diskutiertes Thema aller, die sich mit Open Access befassen, ist die Frage nach der Finanzierung. Wer ein gedrucktes Buch kauft, zahlt damit Autor und Verlag. Wer Open Access-Publikationen online liest, zahlt nichts. Werden wissenschaftliche Open-Access-Publikationen auch in Zukunft kostenlos sein?
Dr. Probst: Das stimmt so nicht. Das klassische Verlagsgeschäftsmodell in den Geisteswissenschaften funktioniert bekanntlich seit langem nur noch so, dass der Doktorand oder Habilitand die Produktionskosten seines Buches mit bis zu fünfstelligen Summen decken muss. Ein beträchtlicher Teil dessen, was der Buchhandel dann beim Verkauf erzielt, bleibt als Gewinn beim Verlag, während die verlegerischen Risiken durch die Druckkostenzuschüsse der Autoren gedeckt werden. Wir sind eine Serviceeinrichtung der Universität und nicht kommerziell orientiert. Auch bei uns gibt es selbstverständlich eine Beteiligung der Autoren an den Herstellungskosten, aber die ist geringer als bei klassischen Verlagen – für Heidelberger Wissenschaftler ist diese Kostenbeteiligung im Übrigen geringer als für externe Autoren.
Dass Bibliotheken Wissen zugänglich machen, ist ihre Kernaufgabe. Dass sie auch helfen, Wissen zu publizieren, ist neu. Sieht so die Universitätsbibliothek der Zukunft aus?
Dr. Effinger: Wir standen als Bibliothek früher immer nur am Anfang der wissenschaftlichen Wertschöpfungskette, nämlich die Wissenschaftler für ihre Forschung mit Informationen zu versorgen. Aber inzwischen kommen wir auch am Ende des Prozesses ins Spiel, indem wir ihnen auch bei dem helfen, was sie am meisten für ihre Karriere brauchen, nämlich bei der Publikation und der möglichst umfassenden Verbreitung der Forschungsergebnisse über Open Access.
Dr. Probst: Natürlich geht es hier auch um die Zukunftsperspektive für diese Bibliothek, die 1396 das erste Mal in einer historischen Quelle erwähnt worden ist. Das sind deutlich über 600 Jahre. Und eines ist mir seit vielen Jahren klar: Wenn der Medienwandel und die Änderung der Nutzungsgewohnheiten sich weiter so fortsetzen wie bisher, dann geraten Universitätsbibliotheken, die nicht wie wir über herausragende historische Sammlungen verfügen und keine neuen Services aufgebaut haben, in eine Existenzkrise. Da wird es künftig wahrscheinlich immer noch einen zentralen Lernort, einen Lesebereich geben; außerdem zentral gemanagte E-Lizenzen für elektronische Publikationen. Die großen gedruckten Büchersammlungen, die das Verständnis und Selbstverständnis von Bibliotheken ausgemacht haben, werden aber stetig an Bedeutung verlieren. Unsere Publikations- und Verlagsaktivitäten sind – ebenso wie unser großes Digitalisierungszentrum – dagegen weitere Säulen, auf die wir die Zukunftsfähigkeit der UB Heidelberg stützen.
Fänden Sie es dann gut, wenn andere Universitätsbibliotheken auch Verlage nach dem heiUP-Modell gründen würden?
Dr. Probst: Das würden wir sehr begrüßen, dann könnten wir nämlich mit anderen kooperieren.
Dr. Effinger: Absolut! Denn selbst wenn wir viele Dutzend Bücher im Jahr machen würden, decken wir natürlich lange nicht den Bedarf. Unser Modell ist voll und ganz transparent: Wir nutzen die Open-Source-Software des Public Knowledge Projects, wir stellen unsere Verlagsworkflows auf Github zur Verfügung, unsere technischen Module können nachgenutzt werden, und zwar von der Programmierung der Verlagshomepage bis hin zu den Plattformen.
Dr. Probst: Wir wundern uns im Gegenteil eher, warum so wenige uns auf unserem Weg begleiten, und um es klar zu sagen: Uns wäre es viel lieber, wenn solche Initiativen auch andernorts vorangetrieben würden.
Zum Schluss noch eine persönliche Frage: Was war Ihr schönster Moment in der kurzen, aber intensiven Verlagsgeschichte?
Dr. Effinger: Das war für mich im letzten Jahr die Frankfurter Buchmesse. Als Bibliotheksreferendarin vor über zwanzig Jahren hätte ich nie gedacht, dass ich einmal auf der anderen Seite stehen würde mit einem eigenen Verlag, Programm, Verlagsprospekt und vollen Regalen. Als alles aufgebaut war in der Messehalle, ist mir dieser Erfolg so richtig bewusst geworden.
Dr. Probst: Was mir immer wieder ein sehr positives Gefühl gibt, ist die Teambildung als solche. Mich freut das organische Wachstum, das ich mit einem Baum vergleichen möchte, wo mit jedem Neuen, der dazukommt, und mit jeder neuen Aufgabe das Ganze stabiler wird. Das erinnert mich an eine alte, symmetrisch gewachsene Eiche. Ein Jahresring um den nächsten und den nächsten. Und so soll es auch weitergehen: Die Formen der Präsentation wissenschaftlicher Publikation werden sich vervielfältigen, werden sich anreichern durch neue Elemente, und wir wollen diesen Prozess weiter mitgestalten, zusammen mit unseren Autorinnen und Autoren.
Die Fragen stellten Rahel Bräuer und Karin Seeber.